Religions- & Kirchenkritik, Säkulare Szene

Austritt des Deutschen Freidenker-Verbandes aus dem KORSO

Nach gründlicher Analyse und Erörterung der auf der KORSO-Ratsversammlung am 19. September 2021 beschlossenen Veränderungen im bisherigen KORSO (siehe Beitrag KORSO wird Zentralrat) hat der Verbandsvorstand des Deutschen Freidenker-Verbandes auf seiner Tagung am 16./17. Oktober 2021 den Austritt des DFV aus dem KORSO, dem künftigen Zentralrat der Konfessionsfreien, beschlossen.

Wir dokumentieren hier die offizielle Austrittserklärung des Verbandsvorstandes.

Webredaktion


 

Deutscher Freidenker-Verband ▪ Schillstraße 7 ▪ 63067 Offenbach/Main

Zentralrat der Konfessionsfreien
Herrn Dr. Rainer Rosenzweig
Wallstr. 61-65
10179 Berlin

25.10.2021

Liebe Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen des säkularen Spektrums,

wir informieren Euch darüber, dass der Verbandsvorstand des Deutschen Freidenker-Verbandes bei seiner Tagung am 16./17. Oktober 2020 in Magdeburg beschlossen hat, die Umwandlung des „Koordinierungsrates Säkularer Organisationen“ (KORSO) in einen „Zentralrat der Konfessionsfreien“ nicht zu unterstützen und nicht mitzugehen. Wir haben daher einstimmig beschlossen, unsere Mitgliedschaft zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu beenden.

Die Bemühungen um Gemeinsamkeiten im freigeistigen Spektrum sind fast so alt wie deren Organisationen – beginnend mit dem Weimarer Kartell von 1907 und der Reichsarbeitsgemeinschaft freigeistiger Verbände, die 1922 gegründet wurde. Die Geschichte des Spektrums kennt eine große Zahl von Zusammenschlüssen und Spaltungen, Einigungen und deren Aufkündigung sowie immer neue Anläufe, etwas Gemeinsames auf die Beine zu stellen. Ausgangspunkt und Motivation solcher Bemühungen um die Bündelung säkular-humanistischer Kräfte waren immer die Ungleichbehandlung konfessionsfreier Menschen gegenüber Kirchenmitgliedern und die Privilegierung der Kirchen gegenüber säkularen Organisationen. Nicht zu jeder Zeit stand bei allen Beteiligten immer „die Sache“: die wirksamere Interessenvertretung konfessionsfreier Menschen – im Vordergrund, das Miteinander scheiterte wiederholt an Konkurrenz, angemaßten Führungsansprüchen, Hegemoniestreben sowie Bemühungen um „feindliche Übernahmen“ und Bevormundung.

Um mehr Zusammenarbeit im freigeistigen Spektrum zu wagen, dabei aus fehlgeschlagenen Anläufen zu lernen und Fehler zu vermeiden, bildete sich im Jahr 2000 eine „Sichtungskommission“ säkularer Organisationen. Die Diskussions- und Arbeitsergebnisse der Kommission mündeten 2008 in ein von Prof. Helmut Kramer erstelltes umfangreiches Papier, in dem die Gemeinsamkeiten der neun an der Sichtungskommission beteiligten Verbände zusammengefasst wurden. Es wurden auch die Erkenntnisse festgehalten, die Grundlage einer Zusammenarbeit sein müssen: die Gleichberechtigung und Eigenständigkeit der beteiligten Organisationen, die Achtung der Identität und Tradition der Anderen, das Toleranzprinzip und die Suche nach Konsens. Auf dieser Grundlage reifte der Entschluss, von der „Sichtung“ zur „Koordinierung“ überzugehen, und im November 2008 den „Koordinierungsrat Säkularer Organisationen“ zu gründen.

Die genannten Prinzipien waren Leitlinien der KORSO-Praxis in vielen Jahren. Einen großen Fortschritt für die Zusammenarbeit stellte die Umfrage bei den Mitgliedsorganisationen im Jahr 2013 dar, welche von 80 inhaltlichen Positionen mitgetragen oder abgelehnt werden. Hieraus ergab sich eine solide Basis für die weitere Arbeit und Schwerpunktsetzung. Auf dieser Grundlage wurde 2016 eine Broschüre zur Vorstellung des KORSO, seiner Ziele und Forderungen sowie seiner Mitgliedsorganisationen herausgegeben, die 2019 eine Neuauflage erfuhr. Die öffentliche Wahrnehmung und Ausstrahlungskraft des KORSO wurde allerdings zunehmend als ungenügend empfunden, weshalb die Idee einer „Lobby“ für Konfessionsfreie mit stärkerem Auftreten im „politischen Raum“ Boden gewann. Dieser Weg soll nun in Form eines „Zentralrats“ beschritten werden, mit dem anstelle des sorgfältigen Austarierens der Positionen der Mitgliedsorganisationen zwangsläufig „moderne“ Prinzipien von Management und Marketing im Vordergrund stehen.

Die von der letzten außerordentlichen Ratsversammlung des KORSO am 19. September 2021 beschlossenen Änderungen stellen aus unserer Sicht einen Bruch mit dem bisherigen Selbstverständnis dar. Der neue Name ist unbestritten die auffälligste Neuerung, aber sie hat mehr als eine formale und nach außen gerichtete Bedeutung. Sie macht expressis verbis eine konzeptionelle Änderung deutlich: Erstens, dass an die Stelle einer bislang die unterschiedlichen Vorstellungen und Interessen koordinierenden, definierenden und vertretenden Instanz nun eine eher zentralistisch agierende Körperschaft tritt, und zweitens, dass deren Subjekte nicht mehr die „säkularen Organisationen“ sind, sondern die „Konfessionsfreien“ als Individuen. Damit wird die Rolle und Bedeutung der Mitgliedsorganisationen als bisher tragendem Fundament des Zusammenschlusses herabgesetzt.

Der Wechsel des Namens fand eingebettet in eine sogenannte „umfassende Satzungsreform“ statt, die aus unserer Sicht stellenweise eher eine Satzungsrevision darstellt. Dies zeigt sich zunächst in den Bestimmungen über die Mitgliedschaft, die nun auch für (gemeinnützige) GmbHs geöffnet wird, also für vorwiegend wirtschaftlich tätige Organisationen, deren Mitgliedschaft bis dato explizit ausgeschlossen wurde. Eine weitere gravierende Änderung betrifft „Mitgliedsorganisationen von Dachverbänden in Deutschland, die schon Mitglied im KORSO sind,“ und die entgegen der bisherigen Regelung fortan dem Verein zusätzlich angehören können. Damit kann eine Mitgliedsorganisation durch die Schaffung einer Phalanx von Unter- und Vorfeldorganisationen im neuen Zentralrat eine beherrschende und majorisierende Stellung gewinnen.

Die Änderung des Vereinscharakters kommt auch in den neuen Bestimmungen über die Organe zum Ausdruck. Die Ratsversammlung ist zwar formell weiterhin das oberste Vereinsorgan, aber ihr Recht zur Festlegung der Größe des Vorstands wurde abgeschafft. Lag es zuvor im Ermessen der Ratsversammlung, die Anzahl der Vorstandsmitglieder zu bestimmen, wird nun die Zahl von fünf Mitgliedern in der Satzung fixiert. Die der alten Regelung zugrundeliegende Zielsetzung, dass möglichst alle, zumindest eine große Zahl der Mitgliedsorganisationen im Vorstand repräsentiert sind, wurde damit aufgegeben.

Dass „im Gegenzug“ als neues Organ ein Verbandsrat eingeführt wird, kann als Eingeständnis gewertet werden, dass die Mitgliedsorganisationen aufgrund der Konstruktionsänderung nicht mehr die entscheidende Rolle spielen. Aber außer der recht unbestimmten „Aufgabe, die Interessen der Mitgliedsverbände zu koordinieren“, hat dieser Verbandsrat keinerlei Funktion und Kompetenz.

Die bisher geltende Ehrenamtlichkeit des Vorstandsamtes wird abgeschafft. Damit korrespondiert die Schaffung der Funktion eines Vorstandssprechers als Angestellter des Vereins, der aber auch gleichzeitig gewähltes Vorstandsmitglied sein kann. Ein Licht auf die Zentralisierung der Entscheidungsabläufe wirft auch die neue Installation eines Expertenrates, der keinen Organ-Status hat, aber den Vorstand beraten darf. Er soll „die in den Mitgliedsorganisationen vorhandene Expertise bündeln“, die Mitgliedsorganisationen dürfen auch Personalvorschläge machen, doch allein der Vorstand entscheidet, wer Experte ist.

Zusammenfassend stellen wir fest, dass die Mitgliedsorganisationen nicht mehr die tragende und entscheidende Rolle im neuen Zentralrat spielen werden, ihre Eigenständigkeit beeinträchtigt wird und dies mit einem Demokratieverlust einhergeht. Dies bedauern wir sehr, gerade im Hinblick auf die positiven Erfahrungen auf der 2000-2020 zurückgelegte Wegstrecke.

Wir hoffen, dass trotz unseres Austritts ein kollegiales und solidarisches Verhältnis bewahrt, und bei verschiedenen Forderungen und Kampagnen die Einheit in der Aktion realisiert werden kann. Der Deutsche Freidenker-Verband ist ausdrücklich zur Zusammenarbeit für gemeinsame Ziele mit den Verbänden innerhalb wie außerhalb des Zusammenschlusses bereit.

Mit kollegialen Grüßen

Sebastian Bahlo
Bundesvorsitzender

Klaus Hartmann
Stellv. Bundesvorsitzender

Ralf Lux
Geschäftsführender Verbandsvorstand


Download

Die Austrittserklärung kann hier als PDF-Dokument angesehen oder heruntergeladen werden:
Brief des Verbandsvorstandes an den Vorsitzenden des KORSO (PDF-Dokument, ca. 175 KB)


Bild: Collage von Ralf Lux, unter Verwendung von:
Puzzle: pibabay.com / wilhei  / Pixabay License