Demokratie – Medien – Aufklärung

Gegen die kontinuierliche Einschränkung demokratischer Rechte

Aus: Freidenker Nr. 2/3-08 September 2008   67. Jahrgang – Themen
Lorenz Knorr

Der Kampf um die Verteidigung demokratischer Rechte ist nicht erst seit der Amtszeit von Innenministern namens Schily oder Schäuble aktuell,
sondern so alt wie die BRD selbs
t.

Der 8./9. Mai 1945 brachte eine markante Zäsur in der staatsrechtlichen Entwicklung Deutschlands. In den Köpfen derer, die zuvor an den singulären faschistischen Gewaltverbrechen teilgenommen hatten, hinterließ dieser historische Bruch jedoch nicht allzu viele Spuren; von jener bürgerlichen Minderheit abgesehen, die aus der totalen Kapitulation Deutschlands humane Konsequenzen zog.
Eine notwendige und auch mögliche geistige Neuorientierung blockierten zwei zusammenhängende Faktoren: erstens die auf das Monopol an der Atombombe gestützte neue US-Globalstrategie, die sich gegen einen der bisherigen Partner in der Anti-Hitler-Koalition richtete, und auf die Spaltung des okkupierten Deutschlands abzielte – der BRD wies man die Funktion eines anti-sowjetischen Bollwerks zu.
In diesem Rahmen reaktivierte die US-Führung zweitens die ‚Ostexperten Hitlers‘, während man Antifaschisten aus ihren neuen Ämtern vertrieb. Maßgebliche Helfer Hitlers erreichten nun wichtige Positionen in der BRD. Der Antikommunismus wurde wieder – wie vor 1945 – Staatsdoktrin. Hinter formalen demokratischen Strukturen restaurierte man dieselben Besitz- und Machtverhältnisse, die zwei Weltkriege und den Faschismus hervorgebracht hatten!

Vom Blitzgesetz …
Das demokratische Grundgesetz der BRD, ein politisches Erbe des Antifaschistischen Widerstandes, unterminierten die Herrschenden von Anfang an: Die Kluft zwischen Verfassungsauftrag und Verfassungswirklichkeit wuchs ständig.
Als wesentlicher Verfassungsbruch wirkten die ohne ausreichende parlamentarische Beratung durchgepeitschten Blitzgesetze vom 11. Juli 1951: ein Strafrechtsänderungsgesetz, das sich gegen jene richtete, die im faschistischen Deutschland die Hauptlast des Widerstands trugen – die Kommunisten.
Es galt nun als Landesverrat, und als Verstoß gegen das Grundgesetz, wenn man Kontakte zu DDR-Bürgern herstellte, Schriften aus der DDR verbreitete, oder für eine fortschrittliche soziale Weiterentwicklung des BRD-Systems wirkte.
Dies war de facto eine Vorbereitung des Verbots der KPD 1956. Weil die KPD als konsequentester Gegner einer westdeutschen Militarisierung auftrat. sollte sie aus dem politischen Leben ausgeschaltet werden. Und nicht nur deshalb: Sie propagierte eine prinzipielle Alternative zur ‚Adenauerschen Demokratur‘! Mit administrativen und formaljuristischen Instrumenten sollte deshalb der Sozialismus als ‚grundgesetzwidrige‘ Ideologie und Praxis diffamiert und verbannt werden.
Die alte Minderheit der Herrschenden versuchte ihre totale Niederlage von 1945 nachträglich zu einem Sieg über ihre politischen Widersacher zu verwandeln. Historische Realitäten verdrängte man, skrupelloser Machtwille dominierte. Als bestens geeignete Sachwalter der neuen Demokratie erschienen ihnen die ex-faschistischen Amtswalter und Hitler-Fans – Geschichtsklitterung pur!
Die Freie Deutsche Jugend („FDJ in Westdeutschland“) verbot die Bundesregierung bereits am 26. Juni 1951. Der Verbotsprozess gegen die KPD zog sich insofern in die Länge, weil es nicht einfach war, den grundgesetzlichen Auftrag ins Gegenteil zu verkehren, und weil die Repräsentanten der KPD und ihre Anwälte sowohl die anklagende Bundesregierung als auch das Gericht laufend in Erklärungsnot brachten. Gleichwohl erfolgte das – grundgesetzwidrige – Verbot der KPD am 17. August 1956.

… zur Kommunistenverfolgung …
Mit diesem Verbot bedrohte man zugleich all jene in der SPD und in den Gewerkschaften, die am Marxismus festhielten – dieser sei freiheitsfeindlich und damit gegen die Haupttendenz des Grundgesetzes gerichtet. Dass die Freiheitsfeindlichkeit primär von den Ex-Faschisten an den Machthebeln der BRD ausging, wollte man damit vernebeln. Hauptanliegen dieses Verbotsprozesses war es, den Sozialismus zu stigmatisieren, und alle mit Strafe zu bedrohen, die ihn propagierten oder zu realisieren trachteten.
Mit diesem verfassungswidrigen Akt war die Einschränkung der grundgesetzlich ga-rantierten demokratischen Rechte keineswegs zu Ende. Die sogenannte „Vorwärts-Verteidigung“ der NATO, in die man die BRD zehn Jahre nach der totalen Kapitulation Deutschlands eingliederte, erheischte zu ihrer Realisierung innenpolitische Disziplinierung und Repressionen, wie es sich für ein antikommunistisches Bollwerk gehört. Um ihre expansiven Ziele zu erreichen, strebten die Herrschenden der BRD auch die Verfügungsgewalt über Atombomben an – was neben der Volksbewegung contra Remilitarisierung auch eine solche „gegen den Atomtod“ auslöste.
Die Bundestagsmehrheit beschloss jedoch nicht nur die atomare Ausrüstung der Bundeswehr, sondern auch ein ‚Kriegsrecht in Friedenszeiten‘, also Notstandsgesetze, die von den Gegnern nicht ganz unrichtig als ‚NS-Gesetze‘ bezeichnet wurden. Bis in die Formulierungen glichen diese Gesetzentwürfe jenen Texten, die vor 1945 zur Kriegsvorbereitung erlassen wurden. Die Absicht: jeden möglichen Widerstand gegen diese abenteuerliche aggressive Politik schon im Vorfeld zu brechen.
Obwohl es große Mehrheiten gegen die Remilitarisierung gab, gegen die geplante atomare Aufrüstung und nun gegen die Notstandsgesetze, orientierte die Bundesregierung und die ihr hörige Bundestagsmehrheit in jedem Fall gegen den Volkswillen – Beispiele für den Charakter der ‚Demokratie‘ (= Volksherrschaft) in der BRD.
Alle verfügbaren Kräfte sollten auf das Ziel einer „Befreiung der Ostgebiete“ (so Adenauer) konzentriert werden. Was die Herrschenden in Westdeutschland 1945 verloren hatten durch ihre Aggressionskriege und Okkupationen, sollte zurückerobert werden, koste es, was es wolle. Dabei wäre im Falle eines Atomkrieges von Deutschland nur Schutt und Asche übrig geblieben. Demokratie blieb Nebensache.

… zum Notstand der Demokratie
Während die SPD-Führung die Partei auf Notstands-Linie zu bringen versuchte, sozusagen als Eintrittsgeld in die Bundesregierung, plädierte sie zwecks mehr Akzeptanz für Zugeständnisse bei der ‚Entschärfung der NS-Gesetze‘. Trotzdem wuchs der Druck auf die Notstands-Befürworter. In den Gewerkschaften, insbesondere der IG Metall, entfaltete sich mächtiger Widerstand.
Bekannte Strafrechtler wie der Marxist Wolfgang Abendroth, linksliberale Professoren wie Helmut Ridder und Eugen Kogon sowie der politische Strafverteidiger Heinrich Hannover riefen zu einem breiten Bündnis gegen die Gefährdung der Demokratie und gegen eine ‚Notstands-Diktatur‘ auf. Linke Jugendverbände, besonders der SDS, mobilisierten zu Großaktionen gegen den Angriff auf die demokratischen Rechte.
Im Aufruf zu einem Kongress „Notstand der Demokratie“ am 30. Oktober 1966 hieß es: „Es droht die Gefahr, dass die rechtsstaatliche und freiheitlich-demokratische Grundordnung zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert aufgehoben wird.“ Zuvor hatten 450 Hochschulprofessoren und 650 Pfarrer der Evangelischen Kirche an den DGB-Kongress appelliert, seine bereits 1962 gefassten Beschlüsse gegen alle Notstandspläne zu bekräftigen. Der Vorstand der IG Metall richtete ein Koordinationsbüro ein, um den Kongress und alle Aktionen gegen die Notstandsgesetze zu unterstützen.
Es war nun bekannt: Geheime „Notstandsverordnungen“ und die bei Bedarf anzuwendenden Sicherstellungs- und Schubladengesetze bedrohten nicht nur das Streikrecht, sondern auch viele Freiheitsrechte der Staatsbürger.
Der Kongress in Frankfurt am Main selbst bot hochqualifizierte Auseinandersetzungen mit historischen Problemen wie Staatsstreichen, der bedrohten Presse- und Meinungsfreiheit, mit den Folgen der NS-Gesetze für den Alltag und deren offenkundiger Verfassungswidrigkeit. Auf dem Römerberg fand die große Abschlusskundgebung statt, bei der Prof. Ernst Bloch, Hans Magnus Enzensberger, Prof. Helmut Ridder und Georg Benz von der IG Metall das Wort ergriffen.
Benz erklärte, dass „unter dem Vorwand einer inneren oder äußeren Gefahr jederzeit eine Diktatur möglich“ sei, „eine Diktatur mit dem Anschein der Legalität!“
Es folgten viele örtliche und regionale Protest-Veranstaltungen. Am 13. Mai 1968 demonstrierten in Bonn 80.000 Gegner der NS-Verfassung. Jedoch: Am 30. Mai 1968 beschloss der Deutsche Bundestag mit 384 gegen 100 Stimmen (davon 53 von der SPD) die Notstandsverfassung.
Die Geschichte des Demokratieabbaus in der BRD vor dem Anschluss der DDR ist damit aber nicht zu Ende. Bereits 1972 wurde unter Bundeskanzler Willy Brandt, der seinen Wahlkampf unter der Losung „Mehr Demokratie wagen!“ geführt hatte, der sogenannte „Radikalenerlass“ eingeführt, der in der Folge Zehntausende Demokraten mit Berufsverbot belegte. Der Erlass stand in Tradition eines vergleichbaren Adenauer-Erlasses aus den 1950er Jahren und nicht zuletzt des Nazi-„Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“.
In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wurden unter dem Vorwand der RAF-Anschläge erste „Terroristengesetze“ eingeführt, die im Strafprozessrecht die Möglichkeiten einer Verteidigung vor Gericht einschränkten („Kontaktsperre“) oder den neuen Straftatbestand der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ (§ 129a) aufbrachten.

Widerstand gegen Demokratieabbau!
Was blieb vom Schwur von Buchenwald: „Eine Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel“? Was erreichte die Herrschaft der Ex-Faschisten in der BRD? Der Kampf für mehr demokratische Rechte, für gesicherten Frieden und sozialen Fortschritt muss weitergeführt werden!
Ein Beispiel, dass zumindest kleine Erfolge möglich sind: 1968, angesichts der Massenproteste gegen die Notstandsgesetze, wurde als Zugeständnis in den Art. 20 des Grundgesetzes eingefügt: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“
Machen wir also von diesem Verfassungsauftrag gründlich Gebrauch! Wer aufgibt, hat bereits verloren, Widerstand lohnt sich!
Wir verfügen über eine humane Perspektive, die am Ende siegen wird – durch unser politisches Wirken!

Lorenz Knorr ist Publizist und Mitglied des Freidenker-Verbandes in Frankfurt am Main. An allen genannten Kämpfen und Bewegungen war er aktiv beteiligt.


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