Religions- & Kirchenkritik, Säkulare Szene

»Spontan würde ich ›Kölle Alaaf‹ sagen«

Zahlreiche Aufklärungsaktionen zum »Weltjugendtag«. Freidenker bieten offene Diskussionen an. Kirchenaustrittsparty und Freigeisterzug sind geplant! Ein Gespräch mit Klaus Hartmann

Klaus Hartmann ist Vorsitzender des Deutschen Freidenkerverbandes

F: Wie stehen die Freidenker zu der katholischen Massenveranstaltung, die vom 15. bis 21. August in Köln stattfindet?

 Angesichts der prächtigen Kostüme könnte man spontan »Kölle Alaaf« sagen. Aber bei näherer Betrachtung stellt man doch fest, daß dort zwischen Harmlosigkeit und Lächerlichkeit Propaganda für knallharte reaktionäre Politik gemacht werden soll. Beide Hauptpersonen – der Papst und sein Kölner Kardinal Meisner – sind Hardliner, die gegen Abtreibung und gegen Verhütung sind. Beide fördern die reaktionäre Geheimorganisation Opus dei, beide sind Gegner der Befreiungstheologie und Befürworter des Sozialabbaus.

 Unvergessen ist das Ja des Vatikans zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien – noch am Vorabend des Angriffs wurde der kroatische Kardinal Alojzije Stepinac selig gesprochen. Das Oberste Volksgericht in Zagreb hatte ihn nach der Befreiung vom Faschismus wegen seiner Rolle bei den Massakern der kroatischen Katholiken an Serben zu 16 Jahren Zwangsarbeit verurteilt.

 F: Freidenker und andere religionskritische Organisationen bereiten parallel zu diesem »Weltjugendtag« Gegenaktionen vor. Wie soll das aussehen?

 Es gibt Aktionen auf der Straße, wir bereiten aber auch ernsthafte Diskussionsveranstaltungen und Feste vor, auch in Bonn und Düsseldorf. Alles steht unter dem Motto »Heidenspaß statt Höllenqual«. Beteiligt sind die Freidenker, der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA), das Kunst- und Videoarchiv KAOS-Produktion, die Giordano-Bruno-Stiftung und andere.

 Die mehr provokativen Veranstaltungen sind zum Beispiel eine Kirchenaustrittsparty oder eine Art Prozession, der erste Kölner Freigeisterzug. Wir werden auch eine Heidenspaß-Party haben.

 F: Muß man nicht befürchten, daß sich gläubige Christen durch solche Veranstaltungen in ihrem religiösen Empfinden gestört fühlen?

 Zunächst sollte man die Frage stellen, ob sich nicht der Kölner Normalbürger durch die Invasion von Kreuzzüglern gestört fühlt. Und dann muß man davon ausgehen, daß die Mehrzahl der Teilnehmer vermutlich weniger aus religiösen Gefühlen als aus Erlebnishunger zu diesem »Event« anreist.

 Falls Katholiken ernsthaft an Diskussionen interessiert sind, können sie gerne auf unsere Angebote zurückgreifen – etwa zu dem Thema der Aktualität von Jesus und Marx, bezogen auf die Globalisierungspolitik. Sie können sich bei uns auch über die Haltung von Benedikt XVI. zur Theologie der Befreiung informieren. Oder über Differenzen und Gemeinsamkeiten von marxistischem und christlichen Weltbild. Wir bieten den Dialog darüber an, wie man gemeinsam diese Welt verbessern kann, unabhängig von der jeweiligen Weltanschauung.

 F: Welche Aufgaben sehen die Freidenker für sich selbst, und welche Rolle spielen sie in der Öffentlichkeit?

 Sie spielen nur eine geringe Rolle, weil sie von den Medien nur selten wahrgenommen werden. Und das, obwohl die Zahl der Konfessionslosen in Deutschland größer als die der Katholiken ist.

 Unsere Aufgabe ist sicherlich nicht der Kampf gegen Gläubige oder gegen die Religion. Wir wenden uns aber gegen den politischen Klerikalismus, gegen das Staatskirchentum und gegen den Irrationalismus, sei es in religiöser oder weltlicher Gestalt.

 Im Gegensatz zu den Kirchen stehen hinter uns Freidenkern keine milliardenschweren Apparate. Dazu ein Beispiel: Nach dem Staat ist die katholische Kirche in Deutschland der größte Grundbesitzer. Sie hat ein Kapital- und Anlagevermögen von über 100 Milliarden Euro. Aufgrund von Privilegien, die sie 1933 mit Hitler vereinbarte, wird sie heute immer noch bevorzugt behandelt. Sie bekommt sogar noch aus der Zeit der Französischen Revolution jährlich Entschädigungszahlungen für enteignete Kirchengüter. Und allein das Kölner Festival wird mit etwa 15 Millionen Euro aus Steuermitteln gefördert.

Quelle: http://www.jungewelt.de/2005/08-05/024.php


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