Frieden - Antifaschismus - Solidarität

Von wegen Antisemitismus

Der Vorwurf des Antisemitismus wird zur Herrschaftssicherung missbraucht.

von Annette Groth

Der angeblich zunehmende Antisemitismus soll nach dem Willen der Bundesregierung und aller im Bundestag vertretenen Parteien effektiv bekämpft werden. Dass der im Januar beschlossene Antisemitismusantrag aber auch einige Paragraphen enthält, die äußerst kritikwürdig sind, ist in der Öffentlichkeit bislang kaum diskutiert worden. Unter dem Begriff „importierter Antisemitismus“ wird Islamophobie geschürt, wird eine härtere „bayerische Linie“ gegen Flüchtlinge begründet. Kritik an der Politik Israels soll delegitimiert werden, und auch das Versammlungsrecht und die Meinungsfreiheit in Deutschland stehen auf dem Prüfstand.

Mögliche ausländerrechtliche Konsequenzen

Der Antrag mit dem Titel „Antisemitismus entschlossen bekämpfen“, der vom Bundestag am 18. Januar 2018 verabschiedet wurde, hat für AusländerInnen unter Umständen ausländerrechtliche Konsequenzen. So fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf:

6. „gegenüber den Ländern darauf hinzuwirken, dass die Möglichkeiten des § 54 Absatz 1 Nr. 5 des Aufenthaltsgesetzes konsequent gegenüber Ausländern/Ausländerinnen angewandt werden, die zu antisemitischem Hass aufrufen. Es ist der Wille des Deutschen Bundestages, dem Aufruf zum Hass gegen Teile der Bevölkerung und der Gefährdung des friedlichen Zusammenlebens durch geistige Brandstifter frühzeitig durch die Einstufung dieser Verhaltensweise als besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse entgegenzutreten“; (1)

In diesem Zusammenhang erhält auch der folgende Passus im einleitenden Feststellungsteil des Antrags besondere Bedeutung:

„Der größte Teil antisemitischer Delikte ist weiterhin rechtsextrem motiviert, antisemitische Einstellungen im Rechtsextremismus sind seit Jahrzehnten stark ausgeprägt, neu tritt durch Zuwanderung ein verstärkter Antisemitismus aus den Ländern Nordafrikas, dem Nahen und Mittleren Osten hinzu, in denen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit einen besonderen Nährboden haben.“(2)

Damit wird MigrantInnen aus bestimmten Staaten Antisemitismus und eine Israelfeindlichkeit unterstellt, das heißt, sie werden unter Generalverdacht gestellt.

Gefährlich ist auch die Vermischung von Antisemitismus und der Kritik an der Politik des Staates Israel:

„Der Deutsche Bundestag verurteilt jede Form von Judenfeindlichkeit. Das umfasst auch alle antisemitischen Äußerungen und Übergriffe, die als vermeintliche Kritik an der Politik des Staates Israel formuliert werden, tatsächlich aber einzig und allein Ausdruck des Hasses auf jüdische Menschen und ihre Religion sind.“

Wer entscheidet, was Antisemitismus und Kritik an der israelischen Politik ist? Etwa der kürzlich berufene Antisemitismusbeauftragte Felix Klein in Kooperation mit dem Beirat, „der im Benehmen mit der/dem Beauftragten von der Bundesregierung berufen wird und sich aus jüdischen und nichtjüdischen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Bildungspraxis und Zivilgesellschaft zusammensetzt“? (3) Der Willkür sind hier Tor und Tür weit geöffnet.

Dass auch die BDS-Kampagne (Boycott, Divestment, Sanctions) in dem Antrag verurteilt wird, ist logisch, wird sie inzwischen doch von vielen Politikern/Politikerinnen als antisemitisch gebrandmarkt. Dass auch viele Jüdinnen und Juden in Deutschland wie in Israel diese Kampagne unterstützen, schert deutsche PolitikerInnen nicht, denn das sind halt die „falschen Juden“. Nun soll die Justiz prüfen, ob BDS den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt.

Die Forderung des Bundestags an die Bundesregierung lautet in Paragraph 7:

„der weltweiten Bewegung „Boycott, Divestment, Sanctions“ entschlossen entgegenzutreten. Der Deutsche Bundestag verurteilt den Aufruf zum Boykott israelischer Geschäfte und Waren sowie die Aufbringung von „Don’t Buy“-Schildern auf Waren aus Israel aufs Schärfste. Es ist Aufgabe der unabhängigen Justiz zu prüfen, inwieweit durch einen Boykott Straftatbestände, zum Beispiel Volksverhetzung, erfüllt sind, und gegebenenfalls angemessene Sanktionen gegen die Täterinnen und Täter zu verhängen“; (4)

Ende März forderte Frankfurts Bürgermeister Uwe Becker (CDU) ein Verbot der BDS-Kampagne und von Bundesinnenminister Seehofer, entsprechend initiativ zu werden: „Es geht im Kern der BDS-Bewegung um die Delegitimierung des Staates Israel, zu deren Zweck Boykott und Diffamierung als Mittel eingesetzt werden.“ Die BDS-Bewegung nehme öffentlich zwar den Umweg über den Antizionismus, sei aber letztlich „eine zutiefst antisemitische Bewegung“. (5)

Ist es ein Zufall, dass nur zwei Tage vorher Daniel Boyarin, Professor für Talmudische Kultur an der Universität von Kalifornien in Berkeley, einen Gastkommentar in der Frankfurter Rundschau mit dem Titel „Freunde Israels, boykottiert diesen Staat!“ hatte? Und als Untertitel war sogar zu lesen:

„Gegen die israelische Politik der Apartheid aufzubegehren, ist nicht antisemitisch, sondern stellt die höchste Form der Loyalität dar.“ (6)

Die Ausführungen von Daniel Boyarin sollte jede/r lesen, der/die sich mit dem Thema Antisemitismus und der BDS-Kampagne auseinandersetzt. Die Gleichsetzung von BDS mit dem berüchtigten NS-Boykott jüdischer Geschäfte in den 1930er Jahren wird hier ad absurdum geführt.

Versammlungsfreiheit gefährdet

Brandgefährlich für unser Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist auch die Forderung nach Überprüfung unseres Versammlungsrechts:

„(…) das Straf- und Versammlungsrecht darauf zu überprüfen, ob es den Polizei- und Strafverfolgungsbehörden ausreichende Mittel an die Hand gibt, um entschieden und wirksam gegen das öffentliche Verbrennen der israelischen Flagge oder anderer Symbole des israelischen Staates und antisemitische Ausschreitungen im Rahmen von öffentlichen Versammlungen und Aufzügen vorzugehen; (…)“ (7)

Bemerkenswert ist, dass alle im Bundestag vertretenen Parteien mit Ausnahme der Linkspartei, die sich enthalten hat, dem Antisemitismus-Antrag zugestimmt haben. Die Gründe für die Enthaltung der Linken Fraktion sind mit Ausnahme des Hinweises auf mögliche aufenthaltsrechtliche Maßnahmen durchaus als lächerlich zu bezeichnen. Kritisiert wurde, dass

  • a) der/die Antisemitismusbeauftragte von der Bundesregierung ernannt werden soll anstatt vom Bundestag,
  • b) aufenthaltsrechtliche Maßnahmen allein aufgrund von „Antisemitismus“-Vorwürfen beschlossen werden können;
  • c) die Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus im Antrag zu unverbindlich formuliert sei.

Warum aber wurde überhaupt ein Antisemitismusantrag beschlossen? Anlass für diesen Antrag waren die Auseinandersetzungen um das Verbrennen von Israelfahnen und der Ruf von angeblich Hunderten von Demonstranten „Tod den Juden“ auf einer Demonstration in Berlin im Dezember 2017 gegen die Entscheidung Trumps, Jerusalem als Hauptstadt Israels zu deklarieren. Es gab einen Riesenaufschrei von PolitikerInnen, die alle einen zunehmenden Antisemitismus für diese Untaten verantwortlich machten, häufig mit dem Hinweis auf den sogenannten „importierten Antisemitismus“ von nach Deutschland geflüchteten Muslimen. Einige investigative Journalisten gingen diesen Vorwürfen nach, schauten Polizeivideos an, befragten TeilnehmerInnen der Demonstration, unter anderem eine Reporterin des israelischen Fernsehens, sowie viele PolizistInnen, und kamen zu dem Schluss, dass lediglich eine selbst gemachte Israelfahne (es war ein Kissenbezug mit darauf gemaltem Davidsstern) verbrannt wurde und dass nur sehr wenige Personen am Rande der Demo diesen abscheulichen Ruf von sich gegeben haben. (8) Auch wenn es nur Wenige waren, bleibt es doch ein abscheulicher Akt, der absolut zu verurteilen ist.

Nach wie vor ist der Mythos vom Verbrennen von Israelfahnen und der angeblich wachsende Antisemitismus allgegenwärtig. Die Forderung nach härteren Strafen für antisemitische Vorfälle wird seitdem immer öfter wiederholt.

Als erstes Bundesland diskutiert Thüringens Rot-Rot-Grüne Regierung derzeit einen Antisemitismusantrag, in dem auch BDS als antisemitisch bezeichnet und entsprechend kriminalisiert wird. (9) Gegen diesen Antrag gab es Protest von verschiedenen Organisationen, zum Beispiel von der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost.(10) Ob dieser Protest aber genutzt hat und ob der Antrag noch modifiziert wird, ist derzeit noch offen.

Geplante Polizeigesetze

Moshe Zuckermann und andere jüdische Intellektuelle weisen schon lange darauf hin, dass Antisemitismus ein Herrschaftsinstrument ist, das dann eingesetzt wird, wenn es politisch opportun erscheint.

Und mit dem Argument des „importierten Antisemitismus“ wird nicht nur die Islamophobie geschürt, sondern in Verbund mit den Gesetzesänderungen auch die Abschiebung unliebsamer AusländerInnen und Geflüchtete ermöglicht.

Ist das ein Zugeständnis an die Alternative für Deutschland (AFD), der die CDU und CSU Wähler wieder abjagen will?

Wenn man das neue bayrische Polizeigesetz liest, das die CSU im Mai im Landtag verabschieden will, muss man glauben, dass die CSU die AFD rechts überholen will. Das neue Gesetz wird es der bayerischen Polizei erlauben, tief in die Grundrechte der Bürger einzugreifen, und zwar lange bevor eine konkrete Gefahr besteht. Ein erster Schritt in diese Richtung war das bereits im vergangenen Sommer vom bayerischen Parlament beschlossene „Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen“. Es ermöglicht, terroristische Gefährder einfacher in Haft zu nehmen. Personen also, denen die Polizei eine Straftat in näherer Zukunft zutraut, die aber noch keine begangen haben. Ist der Gedanke so abwegig, dass unter „gefährlichen Personen“ auch „Israelkritiker“ oder Befürworter von BDS in Betracht kommen?

Nach dem bayerischen Vorbild sollen auch in NRW und Bremen die Befugnisse der Polizei massiv ausgeweitet werden. Auch in NRW sollen künftig „Gefährder“ bei „drohender Gefahr“ bis zu einem Monat festgehalten werden – ohne Anklage und ohne Verteidiger. Diese neuen Polizeigesetze sind totalitär, undemokratisch und unvereinbar mit unserem Rechtsstaat.

Sicherheit vor Demokratie

Das Programm, mit dem die CSU in Bayern seit zwei Jahren den Ausbau der Polizei vorantreibt, heißt „Sicherheit durch Stärke“.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf die warnenden Worte von Jeff Halper, Vorsitzender des israelischen Komitees gegen Häuserzerstörungen und Autor des wichtigen Buches „War against the People: Israel, the Palestinians and Global Pacification (London 2015), hinweisen:

„Israel exportiert mehr als nur Waffen, Sicherheits- und Überwachungssysteme, Aufstandsbekämpfungs- und Antiterrorinstrumente, Modelle der Bevölkerungskontrolle oder Polizeitaktiken. Israel verkauft und wirbt für etwas, was viel weiter geht und viel gefährlicher ist: einen Sicherheitsstaat, der Sicherheit über alles andere stellt und der Demokratie und Menschenrechte in einer Welt des Terrors als ‚liberalen Luxus‘ betrachtet (und dabei wird jeder Widerstand, ganz gleich, ob er sich gegen Unterdrückung oder gegen kapitalistische Ausbeutung richtet, schnell unter der Rubrik ‚Terrorismus‘ eingeordnet).“ (10)

Die zivil-militärische Zusammenarbeit sowie die Sicherheitskooperation zwischen Deutschland und Israel sind sehr eng. Es gibt regelmäßige gemeinsame Truppenübungen, die GSG 9 erhält Ausbildungen in Antiterrormaßnahmen, deutsche SoldatInnen werden im Tunnelkampf trainiert, und dergleichen mehr. Die viel beschworene „Sicherheit“ ist dabei ein zentraler Aspekt. Die geplanten Polizeigesetze illustrieren den Totalitarismus, der hinter dem Begriff der „Sicherheit“ steht.

Annette Groth ist Mitglied des Beirates des Deutschen Freidenker-Verbandes


Quellen und Anmerkungen:
(1) http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/004/1900444.pdf, S.4
(2) Ebenda, S. 2
(3) Ebenda, S.3
(4) http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/004/1900444.pdf, S.4
(5) http://www.fr.de/frankfurt/antisemitismus-becker-fordert-verbot-von-bds-bewegung-a-1472030
(6) http://www.fr.de/politik/meinung/gastbeitraege/bds-kampagne-freunde-israels-boykottiert-diesen-staat-a-1243434
(7) http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/004/1900444.pdf, S.2
(8) https://uebermedien.de/23715/massenhafte-tod-den-juden-rufe-am-brandenburger-tor/
(9) http://www.parldok.thueringen.de/ParlDok/dokument/66183/antisemitismus-in-th%c3%bcringen-konsequent-bek%c3%a4mpfen.pdf
(10) BDS-Kampagne:http://bdsberlin.org/2018/03/20/offener-brief-an-abgeordnete-des-thueringer-landtages-zu-ihrem-antrag-antisemitismus-in-thueringen-konsequent-bekaempfen/
Jüdische Stimme:http://www.juedische-stimme.de/2018/03/19/die-juedische-stimme-fuer-gerechten-frieden-in-nahost-fordert-sie-im-namen-unserer-mitglieder-auf-bestimmte-punkte-aus-dem-antrag-vom-13-3-2018-antisemitismus-in-thueringen/
BAK Frieden in Nahost (LINKE):http://bds-kampagne.de/2018/03/28/bundesarbeitskreis-gerechter-frieden-in-nahost-der-partei-die-linke-zum-antrag-im-thueringer-landtag-antisemitismus-in-thueringen-konsequent-bekaempfen/
IPK e.V.: http://ipk-bonn.de/ipk/news/2018032000.html
(11) Jeff Halper: „Hier wird mehr exportiert als nur Waffen“ in „Palästina – Vertreibung, Krieg und Besatzung, Wie der Konflikt die Demokratie untergräbt“, Annette Groth/Norman Paech/Richard Falk (Hrsg), PapyRossa 2017, S. 80


Foto: „Kritik an Israel ist kein Antisemitismus – Schweigen macht zum Mittäter!“ – Aktion der BDS-Gruppe Bonn („Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“) am 17.06.2017 in Bonn anläßlich der 50jährigen israelischen Besatzung in Palästina. © by arbeiterfotografie.com