Zeit der Verleumder - Freidenker für Klartext

„Falsche Fährten“

Seit ge­rau­mer Zeit wird von in­ter­es­sier­ten Krei­sen un­ter dem Stich­wort „Quer­front“ eine Kam­pa­gne geführt (sie­he den Ar­ti­kel „Quer­front“ – Rosstäuscher am Werk in KAZ 355). Ziel ist es, lin­ke Kräfte zu dif­fa­mie­ren und zu iso­lie­ren, in­dem man sie in die Nähe von Fa­schis­ten rückt. Dies wur­de z.B. ex­er­ziert an Ab­ge­ord­ne­ten der PDL, die in der Frie­dens­be­we­gung sich ge­gen die Nato stell­ten und wei­ter­hin an der Ver­wei­ge­rung der Zu­stim­mung für deut­sche Kriegseinsätze fest­hiel­ten. Das Denk­sche­ma da­hin­ter: Wer ge­gen die Nato ist, ist ge­gen den US-Im­pe­ria­lis­mus. Der US-Im­pe­ria­lis­mus aber ist die Schutz­macht Is­ra­els. Wer die USA an­greift, greift also Is­ra­el an. Wer Is­ra­el an­greift ist An­ti­se­mit und kommt da­mit als Deut­scher in den Fußstap­fen von Hit­ler da­her. Das ist die kru­de Ar­gu­men­ta­ti­ons­kas­ka­de der sog. An­ti­deut­schen Strömung. Ganz ne­ben­bei soll da­mit die star­re Hal­tung ge­gen die Nato weich­ge­klopft wer­den, die ja auch eine Annäherung der PDL an die SPD ver­hin­dert und da­mit eine Rot-Rot-Grüne-Ko­ali­ti­on. Und die wird ja be­kannt­lich von man­chen Kräften als der Königs­weg zu Frie­den, Fort­schritt, Fleisch­topf ge­se­hen.

Als Prot­ago­nist die­ser Strömung hat sich Tho­mas Will­ms her­vor­ge­tan. Er ist Bun­des­geschäftsführer der VVN-BdA. Durch sein „Quer­front“-Schnüffeln in der Frie­dens­be­we­gung (s. sein Ar­ti­kel „Zau­ber­lehr­lin­ge“ in der „an­ti­fa“, VVN-Bda-Ver­bands­zeit­schrift vom 10.1.2016 – http://antifa.vvn-bda.de/2016/01/10/zauberlehrlinge/) ​hat er so­gar die jahr­zehn­te­lan­ge freund­schaft­li­che Ver­bin­dung der VVN-BdA zum Deut­schen Frei­den­ker-Ver­band aufs Spiel ge­setzt. Neu­er­dings hat Will­ms sich mit Frank­reich be­fasst, wo er die lin­ke Fran­ce In­so­u­mi­se (FI) von Mélen­chon mit der fa­schis­ti­schen Front Na­tio­nal (FN) von Le Pen gleich­setzt („an­ti­fa“ vom 14.7.2017 – http://an­ti­fa.vvn-bda.de/​2017/​07/​14/​me­len­chon-und-mouf­fe/). ​Das gan­ze nach dem Mot­to: Den Sack schla­gen, aber den Esel mei­nen. Der Esel sind die deut­schen Links­kräfte, die sich dem Zug ins Rot-Rot-Grüne-Wun­der­land wi­der­set­zen. Die also im­mer noch ge­gen Nato, deut­sche Kriegseinsätze an der Sei­te der USA sind; die im­mer noch die Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Eu­ro­pa als re­ak­ti­onäres Pro­jekt se­hen, die die DDR ver­tei­di­gen und die im­mer noch in den ag­gres­sivs­ten Tei­len des deut­schen Fi­nanz­ka­pi­tals die größte Ge­fahr für Fa­schis­mus und Krieg er­ken­nen und die Ar­bei­ter­klas­se als wich­tigs­te Ge­gen­kraft.

Un­se­re Au­to­rin lebt, ar­bei­tet und kämpft seit vie­len Jah­ren in Frank­reich. Sie ist durch ihre Bio­gra­phie der deut­schen an­ti­fa­schis­ti­schen und Ar­bei­ter­be­we­gung eng ver­bun­den. Sie veröffent­licht u.a. in Un­se­re Zeit (UZ).

 

In der „An­ti­fa“, dem Ma­ga­zin der VVN-BdA, schrieb Tho­mas Will­ms am 14. Juli 2017 un­ter dem Ti­tel „Mélen­chon und Mouf­fe – Über po­pu­lis­ti­sche Pro­gram­ma­ti­ken in Frank­reichs FI“ – Hier ei­ni­ge Klar­stel­lun­gen. Sie können die im Hin­ter­grund agie­ren­den Per­so­nen und Or­ga­ni­sa­tio­nen der po­pu­lis­ti­schen, fa­schis­ti­schen u.a. Ver­leum­dun­gen aus Platz­gründen nur sehr kurz an­reißen.

Bei der Lektüre des Ar­ti­kels von Tho­mas Will­ms könnte man wähnen, auf ei­ner der wie bösar­ti­ge Ge­schwüre sich ver­meh­ren­den Web­sei­ten Frank­reichs ge­lan­det zu sein, die Kam­pa­gnen ge­gen ak­ti­ve lin­ke po­li­ti­sche Persönlich­kei­ten, Jour­na­lis­ten und In­tel­lek­tu­el­le führen. Da sie fa­schis­ti­sche und fa­schis­to­ide Hal­tun­gen und Ent­wick­lun­gen an­pran­gern, sol­len die­se Ak­ti­ven selbst in eine fa­schis­ti­sche Ecke gedrängt wer­den! Her­vor­ge­tan hat sich da­bei u.a. die in ex­trem rech­ten Net­zen fi­schen­de Jour­na­lis­tin Or­nella Guy­et. Auf der lan­gen Lis­te der at­ta­ckier­ten Lin­ken ste­hen die Jour­na­lis­ten der Web­zei­t­ung Le­grand­soir, der Chef­re­dak­teur der Zeit­schrift „Fa­kir“, François Ruf­fin (und Par­la­ments­ab­ge­ord­ne­ter von Fran­ce in­so­u­mi­se), der Be­trei­ber von In­ves­tig‘ac­tion, Mi­chel Col­lon, die Zeit­schrift „Le mon­de di­plo­ma­tique“ und Frédéric Lor­don oder Noam Chomsky aus den USA.

Als Quel­le der Web­sei­ten und Blogs, die hin­ter ei­nem pro­gres­si­ven An­schein neo­kon­ser­va­ti­ve, iden­titäre und fa­schis­ti­sche Pro­pa­gan­da ver­ste­cken und viel Kon­fu­si­on ver­brei­ten, wur­de u.a. „www.con­spi­ra­cy­watch.info“ von Rudy Reich­stadt aus­ge­macht. Er greift auf di­ver­se Fälschun­gen zurück, die selbst als Ko­pie wei­ter­ge­reicht wer­den.[1] Aber die Fäden ge­hen bis in die USA.

Be­vor­zug­te An­griffs­per­son ist Jean-Luc Mélen­chon (JLM). Der In­halt sol­cher Tex­te braucht hier nicht wie­der­ge­ge­ben zu wer­den. Tho­mas Will­ms hat sich be­reits bemüht. Er greift „La Fran­ce in­so­u­mi­se“ (FI, Das Auf­rech­te Frank­reich) an als be­vor­zug­ten französi­schen Part­ner­ver­band der Par­tei „Die Lin­ke“. Mélen­chon aber geht im Ge­gen­satz zur Par­tei „Die Lin­ke“ kei­ne po­li­ti­schen Al­li­an­zen mit am So­zi­al­ab­bau be­tei­lig­ten So­zi­al­de­mo­kra­ten ein! So­weit zu sei­ner Ra­di­ka­lität. Herr Will­ms aber be­zwei­felt nach Art der „Neo­kons“ und Iden­titären die lin­ken Hal­tun­gen. Sei­ne Kau­sal­ket­te sieht so aus:

FI und FN ha­ben zu­sam­men 40 Pro­zent der Stim­men ge­won­nen. Kip­ping und Ri­ex­in­ger von „Die Lin­ke“ wünsch­ten dem aus dem Nichts auf­ge­tauch­ten FI al­les Gute zur Wahl. Mélen­chon kennt La­fon­tai­ne schon länger. Mélen­chon sei in­spi­riert von Chan­tal Mouf­fe. Und letz­te­re ste­he auf den Na­zi­ideo­lo­gen Karl Schmitt. Also sind FI und FN gleich­zu­set­zen. Die deut­sche „Lin­ke“ trifft er da­mit auch.

Später wird auf Frau Mouf­fe und Mélen­chon zurück­zu­kom­men sein. Schau­en wir uns vor­erst an, wen Herr Will­ms un­terstützt. An­grif­fe auf die FI, wel­che die Be­we­gung und ihre Anhänger in die rechts­ex­tre­me Ecke drücken, kom­men ganz of­fen aus den Rei­hen von Ma­crons Par­tei „La Répu­bli­que en mar­che“, aber auch zu­neh­mend von Mit­glie­dern an­de­rer rech­ter oder sich ehe­mals so­zia­lis­tisch nen­nen­der Par­tei­struk­tu­ren in der As­semblée Na­tio­na­le (Par­la­ment). Der ehe­ma­li­ge Pre­mier­mi­nis­ter, ehe­mals auch So­zi­al­de­mo­krat, ist ei­ner der ent­schie­de­nen Geg­ner des „Auf­rech­ten Frank­reichs“. Herr Valls ver­tritt, wie manch an­de­rer des al­ten und neu­en Par­la­ments, eth­ni­sche The­sen der ex­tre­men Rech­ten. Die im Be­sitz ei­nes Dut­zend von Mil­li­ardären be­find­li­chen Me­di­en lie­ben es her­vor­zu­he­ben, dass Ma­ri­ne Le Pen UND Jean-Luc Mélen­chons po­pu­lis­tisch sind. Auch das ist eine Gleich­set­zung.

Mit dem di­rek­ten An­griff auf eine Per­son, de­ren an­geb­li­che Schwächen, Stärken und Re­gun­gen, um­gemünzt in den ne­ga­tiv be­setz­ten „Po­pu­lis­mus“, spa­ren die Ver­ant­wort­li­chen der Kam­pa­gnen die Ur­sa­chen der Op­po­si­ti­on der „Auf­rech­ten Frank­reichs“ aus. Die Op­po­si­ti­on des FN in so­zia­len Fra­gen exis­tiert nicht.

Zur Etablierung des französischen Präsidenten und zur Rolle seiner Partei „La République en marche“ (Die Vorwärts-Republik)

Herr Will­ms teilt uns mit, dass die französi­schen Wähler [am 7. Mai 2017, A.L.] „das po­li­ti­sche Sys­tem Frank­reichs de fac­to ab­gewählt (ha­ben) ohne es for­mal ab­zu­schaf­fen“ und so fort. Sym­pa­thie für die „Vorwärts“-Be­we­gung ist unüber­seh­bar. Nur wur­de der gewählte Präsi­dent Em­ma­nu­el Ma­cron mit un­ver­hoh­le­ner Hil­fe des Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des Me­def an die Spit­ze der Präsi­di­al­re­pu­blik ge­hievt, der sich noch nie so di­rekt in die Wahl und die Ar­beit der Re­gie­rung Ma­cron ein­misch­te. Durch ge­schick­tes Manövrie­ren wur­den die durch ih­ren So­zi­al­ab­bau in Miss­kre­dit ge­ra­te­nen al­ten po­li­ti­schen „Eli­ten“ der Rech­ten und der So­zi­al­de­mo­kra­tie ins Nichts gedrängt. Auf­ga­be der letz­te­ren war das Stim­men­ab­ja­gen des für ein bes­se­res Frank­reich kan­di­die­ren­den Jean-Luc Mélen­chon. Er er­hielt trotz­dem sie­ben Mil­lio­nen Stim­men (19,64 Pro­zent). Den französi­schen Wählern wur­de in der zwei­ten Run­de die Kan­di­da­tin des Front Na­tio­nal (FN) und Ma­cron als Präsi­dent­schafts­kan­di­dat ge­bo­ten. Seit Jah­ren durf­te der FN sich mit Hil­fe von Staat und Me­di­en, un­ge­hin­dert zahl­rei­cher ras­sis­ti­scher und frem­den­feind­li­cher Ausfälle so­wie kri­mi­nel­ler Ge­set­zes­verstöße sei­ner „Volks­ver­tre­ter“, in ein de­mo­kra­ti­sches Licht set­zen. Aber die Ab­leh­nung ih­rer Frem­den- und Ausländer­feind­lich­keit und ih­res Ras­sis­mus durch die Mehr­zahl der französi­schen Bürger war der Haupt­grund, dass sie als Präsi­den­tin nicht in Fra­ge kam. Und das, ob­wohl die Is­la­mo­pho­bie des FN, die in Frank­reich eine noch größere Rol­le als in Deutsch­land spielt, mehr oder we­ni­ger of­fen durch Re­gie­rungs­ak­te geschürt wird, z.B. die sich häufen­den Schließun­gen von Mo­sche­en un­ter dem Vor­wand von Ter­ro­ris­mus, ständi­ge Iden­titätskon­trol­len (Ra­ci­al Pro­filing) der ara­bi­schen oder afri­ka­ni­schen Ju­gend­li­chen. Dreißig Pro­zent der französi­schen Bürger ha­ben ihre Ursprünge in Afri­ka und den Über­see­de­par­te­ments. Das An­pran­gern der aus der noch gar nicht so lan­ge ver­gan­ge­nen Ko­lo­ni­al­zeit stam­men­den Vor­ur­tei­le ist ge­leb­ter An­ti­fa­schis­mus.

Die vor­erst fünf ers­ten Ermäch­ti­gungs­ge­set­ze zur Ände­rung des Ar­beits­ge­set­zes wur­den im Som­mer 2017 von den Anhängern Ma­crons, den Vorwärts-Re­pu­bli­ka­nern (LREM) im Par­la­ment durch­ge­winkt. Der französi­sche Präsi­dent re­giert nun mit Ver­ord­nun­gen. Sei­ne „Be­we­gung“, of­fi­zi­ell im Juni 2016 gegründet und am Tage vor der Wahl Ma­crons als Par­tei ein­ge­tra­gen, war 11 Mo­na­te lang of­fen für Mit­glie­der an­de­rer Par­tei­en und Auf­fang­be­cken für rech­te So­zi­al­de­mo­kra­ten, Re­pu­bli­ka­ner mit teils ex­tre­men Ge­sin­nun­gen, ei­ni­ge zwie­lich­ti­ge Ge­stal­ten, si­cher auch Verführte. Durch die groß pro­pa­gier­te Rol­le des Un­ter­neh­mer­tums lie­fen Ma­cron vie­le Un­ter­neh­mer aus dem Kleinbürger­tum zu, die heu­te zum Ja­sa­gen in der As­semblée Na­tio­na­le sit­zen. Wer Ma­cron vor sei­ner Wahl nicht un­terstützte, blieb außen vor oder in Re­ser­ve. Eine Aus­nah­me bil­de­te die klei­ne Par­tei „Mo­dem“, die von Be­ginn an zu Ma­cron hielt. Ihr Vor­sit­zen­der François Bay­rou aber wur­de nicht lan­ge als Jus­tiz­mi­nis­ter im Ka­bi­nett Phil­ip­pe ge­braucht. Die Po­li­tik Ma­crons zeigt Par­al­le­len zu der zu­erst von Reichs­wehr-Führern um Kurt von Schlei­cher in der Wei­ma­rer Re­pu­blik als „Gleich­schal­tung » pro­pa­gier­ten Po­li­tik (die nach Machtüber­nah­me durch die Na­zis zum Gleich­schal­tungs­ge­setz führte). Durch Fi­nan­zie­rungs­ent­zug schwächt Ma­cron und sei­ne Re­gie­rung die Ge­mein­den und De­par­te­ments und stärkt die Zen­tral­macht. Die „Re­pu­bli­ka­ner en mar­che“ stim­men für die Wirt­schafts­macht Frank­reich und wer­den durch großzügige Ge­set­ze für klei­ne­re Un­ter­neh­mer be­tei­ligt. Vor al­lem aber dient „En mar­che!“ der Stärkung des Mo­no­pol­ka­pi­tals und des Mi­li­ta­ris­mus. Für die große Mas­se aber be­deu­tet das Ab­bau von Ar­beits­rech­ten und Pre­ka­ri­sie­rung. Gleich­zei­tig aber wird die De­mo­kra­tie in der Französi­schen Re­pu­blik ab­ge­baut. Das birgt große Ge­fah­ren.

Ein Präsi­dent Frank­reichs hat eben­so um­fang­rei­che Rech­te wie in der Wei­ma­rer Re­pu­blik zu­letzt Hin­den­burg. Sie ermögli­chen bei Be­darf ei­nen leich­te­ren Über­gang zur fa­schis­ti­schen Dik­ta­tur als eine bürger­lich-de­mo­kra­ti­sche Re­pu­blik ohne Präsi­di­al­re­gime. Der französi­sche Präsi­dent setzt die Re­gie­rung ein, ist obers­ter Kriegs­herr (Frank­reich hat nun eine Ar­mee­mi­nis­te­rin) im Be­sitz von mo­derns­ten Atom­waf­fen und kann un­ter ge­ge­be­nen Vor­aus­set­zun­gen mit oder ohne Par­la­ment im Staa­te be­stim­men. In der Bun­des­re­pu­blik wur­de die­se Macht­be­fug­nis im Er­geb­nis der Hit­ler­dik­ta­tur durch das Grund­ge­setz ab­ge­schafft. Ein Blick in die Ge­schich­te soll­te uns zei­gen, dass die nach so­zia­lem Auf­stieg drängen­den Kleinbürger still hal­ten.

Ziel­stel­lung der französi­schen Re­gie­rungs­po­li­tik, haut­nah ge­lei­tet und geführt von bürger­li­chen Denk­fa­bri­ken wie dem In­sti­tut Mon­tai­gne, ist das öko­no­mi­sche Er­star­ken Frank­reichs, eine Aufrüstung der Ar­me­en und ein Ko­ope­rie­ren mit star­ken Eu­ro­pa-Kräften wie Deutsch­land und Ita­li­en. Afri­ka wird von der Re­gie­rung Ma­cron bzw. sei­nen Hin­termännern oh­ne­hin als französi­scher Hin­ter­hof be­trach­tet. Frank­reich soll noch stärker in vor­ders­ter Li­nie in der Welt­po­li­tik mit­mi­schen. Ge­nau die­se we­sent­li­chen Punk­te ste­hen im Wahl­pro­gramm des Front Na­tio­nal.

Nur eine aufrechte politische Opposition: La France insoumise und der PCF gemeinsam mit den Gewerkschaften

Die Auf­ga­be der pro­gres­si­ven Kräfte war die Ver­hin­de­rung des of­fe­nen Ein­zugs des FN als fa­schis­ti­sche Präsi­di­al­macht. Im Wis­sen um den Fi­nanz­ka­pi­tal-Kan­di­da­ten Ma­cron war das kei­ne leich­te Ent­schei­dung. In den De­mons­tra­ti­onszügen des 1. Mai 2017 wur­de bild­haft auf­ge­ru­fen: Am Sonn­tag den Ein­zug von Ma­ri­ne Le Pen ver­hin­dern, am Mon­tag ge­gen Ma­cron kämp­fen! Der Auf­ruf von Fran­ce in­so­u­mi­se lau­te­te: Ma­cron wählen oder sich ent­hal­ten. Mélen­chon persönlich über­ließ de­mo­kra­tisch die­se Wahl­ent­schei­dung sei­nen Anhängern, um nicht po­li­tisch aus­ge­schlach­tet zu wer­den. Dar­aus eine Af­fi­nität zur Le Pen zu kon­stru­ie­ren ist ha­nebüchen. Von ei­ner „in­for­mel­len Re­gel der po­li­ti­schen Kul­tur Frank­reichs“ weiß hier nie­mand, von der Wahl zwi­schen Pest und Cho­le­ra schon. Das hat nichts mit feh­len­dem An­ti­fa­schis­mus, aber mit der Ab­leh­nung des herr­schen­den po­li­ti­schen Sys­tems der 5. Re­pu­blik zu tun, das die Wahlf­ar­ce ge­mein­sam mit dem Ka­pi­tal or­ga­ni­sier­te. Wenn Herr Will­ms An­ti­fa­schis­mus an der Ni­be­lun­gen­treue zum be­ste­hen­den Sys­tem fest­macht, gerät An­ti­fa­schis­mus zur Far­ce. Sei­ne ominöse Wähler­pro­gno­se gehört dazu.

Die 5. Re­pu­blik als bürger­li­che Präsi­di­al­re­pu­blik ist eine „Ju­pi­ter-De­mo­kra­tie“ (grie­chisch: Zeus), das Volk „faul, zy­nisch oder ex­trem“ – so aus dem Mun­de von Präsi­dent Ma­cron. „Ju­pi­ter“ be­ju­bel­ten ihn große Zei­tun­gen auf der Ti­tel­sei­te. Sei­ne Auf­trag­ge­ber ha­ben mitt­ler­wei­le Mühe, sei­ne sich häufen­den ver­ba­len Ausfälle ge­gen Lohn­empfänger zu begründen.

Ma­crons Par­la­ment hat u.a. ein neu­es Ge­setz für die in­ne­re Si­cher­heit und Jus­tiz durchs Par­la­ment ge­peitscht, das den seit No­vem­ber 2015 gel­ten­den Not­stand ablösen soll. Ne­ben Be­set­zungs-Pro­tes­ten wird da­mit auch ge­gen die stei­gen­de Flücht­lings­zahl vor­ge­gan­gen. Ein­zi­ge Ant­wort ge­gen Ter­ro­ris­mus u.a. Ge­set­zes­verstöße ist eine per­so­nel­le und mi­litäri­sche Auf­sto­ckung von Po­li­zei, Jus­tiz­ap­pa­rat und Ar­mee und z.B. die Gründung ei­nes Son­der­ge­richts­ho­fes für Ter­ro­ris­ten. Das Ge­setz ist ver­fas­sungs­wid­rig. Aber Ver­fas­sungsände­run­gen sind be­reits vor­ge­se­hen.

Sie ha­ben nichts zu tun mit ei­ner von Lin­ken (auch PCF und FI) vor­ge­schla­ge­nen vollständig neu­en de­mo­kra­ti­schen Ver­fas­sung (neue heißt 6. Re­pu­blik), in de­ren Zuge das Präsi­di­al­sys­tem ab­ge­schafft wer­den soll. Die Ak­tio­nen für eine „6. Re­pu­blik“ lau­fen be­reits seit meh­re­ren Jah­ren. Sie rei­hen sich ein in ei­nen Kampf um Ega­lität, Mit­be­stim­mung, Sou­veränität Frank­reichs (raus aus der EU und der Nato) und ge­gen Krieg. Bei den Wah­len 2012 tra­ten die Men­schen um Mélen­chon ge­mein­sam mit dem PCF als Front de Gau­che an. We­gen ei­ni­ger un­ter­schied­li­cher po­li­ti­scher Auf­fas­sun­gen kam es ab Frühjahr 2016 mit Un­terstützung vie­ler PCF-Mit­glie­der zur For­mie­rung von „La Fran­ce in­so­u­mi­se“. So kommt es, dass zwei Grup­pen der pro­gres­si­ven Op­po­si­ti­on im Par­la­ment ar­bei­ten: 17 Mit­glie­der von LFI und zehn der Grup­pe der de­mo­kra­ti­schen und re­pu­bli­ka­ni­schen Lin­ken (PCF in­klu­si­ve). Weil sie Ge­set­ze zum So­zi­al­ab­bau, zum Ab­bau von De­mo­kra­tie und Mei­nungs­frei­heit nicht mit­tra­gen, sind sie ständi­gen An­grif­fen an­de­rer Par­la­ments­mit­glie­der aus­ge­setzt, die sie mit dem FN (der kei­ne Grup­penstärke hat) in an­geb­li­cher Op­po­si­ti­on gleich­set­zen. So zieht das Re­gie­rungs­la­ger aus der in die Be­deu­tungs­lo­sig­keit gedräng­ten und noch nie so­zia­le Rech­te der Ar­bei­ten­den ein­for­dern­den FN Nut­zen, in­dem sie der auf­rech­ten Op­po­si­ti­on scha­det.

Trotz ge­gen­tei­li­ger dem­ago­gi­scher Ver­si­che­run­gen wer­den Steu­ern auch für Arme und Rent­ner erhöht, So­zi­al­beiträge für Lohn­empfänger ab­ge­schafft – und da­mit die So­zi­al­ver­si­che­rung de­mo­liert. Wohn­geld wird ge­stri­chen und gan­ze So­zi­al­woh­nungs- und Kran­ken­haus-Kom­ple­xe pri­va­ti­siert. Für das Mo­no­pol­ka­pi­tal gibt es rie­si­ge Steu­er­ge­schen­ke. Des­halb ver­geht seit dem 12. Sep­tem­ber 2017 in Frank­reich kei­ne Wo­che ohne macht­vol­le De­mons­tra­tio­nen und Streik­be­we­gun­gen ver­schie­de­ner Ge­werk­schaf­ten mit der CGT an der Spit­ze, die zur Rück­nah­me des Ar­beits­ge­set­zes auf­for­dern. Die „Auf­rech­ten Frank­reichs“ und der PCF un­terstützen die Kämpfe und ar­bei­ten für eine größere Zu­sam­men­ar­beit mit den Ge­werk­schaf­ten. Nur rie­si­ge ge­mein­sa­me Kampf­maßnah­men der Bevölke­rung können den Ab­bau von so­zia­len und de­mo­kra­ti­schen Rech­ten ver­hin­dern. Sieht Herr Will­ms hier­in po­pu­lis­ti­sche Pro­gram­ma­ti­ken?

Wenn er sei­ner Links­all­er­gie folgt und ein Zu­sam­menrücken von Fran­ce in­so­u­mi­se und dem Front Na­tio­nal kon­stru­iert, han­delt er in An­be­tracht der po­li­ti­schen Verhält­nis­se im In­ter­es­se de­rer, die für die Ent­de­mo­kra­ti­sie­rung des bürger­li­chen Sys­tems ver­ant­wort­lich sind bzw. sie fördern. Er un­terstützt Po­si­tio­nen französi­scher Re­gie­rungs­ver­tre­ter ge­gen das französi­sche Volk, in­dem er die ein­zi­ge kon­se­quen­te po­li­ti­sche Op­po­si­ti­on dif­fa­miert. Ein an­de­rer Tho­mas nann­te den An­ti­kom­mu­nis­mus „die Grund­tor­heit un­se­rer Epo­che“. Manch ei­ner dehnt sie heu­te schon sehr be­denk­lich auf de­mo­kra­ti­sche So­zia­lis­ten und lin­ke So­zi­al­de­mo­kra­ten aus.

Noch ei­ni­ge Wor­te zur Ver­deut­li­chung der von Herrn Will­ms kon­stru­ier­ten „ideo­lo­gi­schen Zu­sam­menhänge“. Ja, Frau Chan­tal Mouf­fe gab der großbürger­li­chen Zei­tung Fi­ga­ro am 11.04.2017 ein In­ter­view. Die Zei­tung hat Frau Mouf­fe „als In­spi­ra­tor von Jean-Luc Mélen­chon“ an­gekündigt. Frau Mouf­fe hat sich des­sen nie gerühmt. Die­se und an­de­re Zei­tun­gen dif­fa­mie­ren die FI-Op­po­si­ti­on „po­pu­lis­tisch“ zu sein und stel­len sie an die Sei­te des FN.

In den Gesprächs­run­den mit François Ruf­fin (Name S. 1 oben) zur Som­mer­uni­ver­sität der FI 2017 fand ein in­ter­es­san­ter in­tel­lek­tu­el­ler Ge­dan­ken­aus­tausch statt. Ruf­fin konn­te den theo­re­ti­schen Ausführun­gen der auf Links­po­pu­lis­mus als Theo­rie be­ste­hen­den Frau Mouf­fe nicht viel ab­ge­win­nen, vor al­lem dort, wo sie sich auf Kon­ver­genz­theo­ri­en zwi­schen dif­fu­sen Klas­sen be­zog. Die Bel­gie­rin Chan­tal Mouf­fe, lan­ge Jah­re mit ih­rem Ehe­mann Er­nes­to La­clau in Südame­ri­ka le­bend, ist in­ter­na­tio­nal als lin­ke Po­pu­lis­mus-Theo­re­ti­ke­rin be­kannt. Sie un­ter­rich­tet an der West­mins­ter-Uni­ver­si­ty in Lon­don po­li­ti­sche Phi­lo­so­phie. Frau Mouf­fe will ei­nem lin­ken Po­pu­lis­mus zur Ge­burt ver­hel­fen. Sie zieht da­bei Gren­zen zur herkömm­li­chen So­zi­al­de­mo­kra­tie und zur ex­tre­men Lin­ken und be­steht auf ei­nem „re­vo­lu­ti­onären Re­for­mis­mus“.

Der US-Ame­ri­ka­ner Mi­cha­el Par­en­ti bringt das so auf den Punkt: „Vie­le von de­nen, die sich als Lin­ke ver­ste­hen, sind der­maßen an­ti­mar­xis­tisch, dass sie be­reit sind, alle unmögli­chen Vor­stel­lun­gen zu­sam­men­zu­raf­fen um zu erklären, was in der Welt ge­schieht – aus­ge­nom­men die Klas­sen­macht. Das sind die Theo­re­ti­ker der Any­thing-but-Class (ABC). Weil sie mit den meis­ten Kon­ser­va­ti­ven in po­li­ti­schen Fra­gen nicht übe­rein­stim­men, über­neh­men sie in ih­rem Teil der Ar­beit das Brem­sen des Klas­sen­be­wusst­seins.“ Zu ih­nen zählt er Er­nest La­clau und Chan­tal Mouf­fe.[2] Von Rechts­po­pu­lis­mus oder ei­ner Nähe zu fa­schis­ti­schen Grup­pie­run­gen ist kei­ne Rede. Wäre sie sonst ge­mein­sam mit Mélen­chon vom Ver­ein „Mémoi­re des lut­tes“ (Gedächt­nis der Kämpfe) am 21.10.2016 zur Dis­kus­si­on „Die Stun­de des Vol­kes“ ein­ge­la­den wor­den? Jean-Luc Mélen­chon hielt Chan­tal Mouf­fe ei­nen Vor­trag über his­to­ri­schen Ma­te­ria­lis­mus und die Not­wen­dig­keit des Klas­sen­kamp­fes, lehn­te es ab sich po­pu­lis­tisch zu nen­nen und ar­gu­men­tier­te zu ih­rem Er­schre­cken mit Marx.[3] Er setzt auf die Aufklärung des Vol­kes und weiß, dass es ohne po­li­ti­sche Bil­dung kein hand­lungsfähi­ges Klas­sen­be­wusst­sein gibt.

Der Ver­ein „Mémoi­re des lut­tes“ wur­de von Günter Holz­mann in­iti­iert, der auch die Zeit­schrift „Le Mon­de di­plo­ma­tique“ fi­nan­zi­ell un­terstützte. Er wur­de 1912 in ei­ner deutsch-jüdi­schen Fa­mi­lie in Bres­lau, heu­te Wro­claw, ge­bo­ren und ist 2001 ver­stor­ben. Zu­letzt leb­te er in Bo­li­vi­en. Holz­mann hat­te ak­tiv am an­ti­fa­schis­ti­schen Kampf in Deutsch­land teil­ge­nom­men und war später in La­tein­ame­ri­ka ak­tiv. Sei­ne Mah­nung lau­tet:

„Für un­se­re Kämpfe von mor­gen, für eine freie­re, der Gleich­heit ver­pflich­te­te, eine ge­rech­te­re Welt, die brüder­li­cher und so­li­da­ri­scher ist, müssen wir un­se­re Kämpfe im Gedächt­nis be­hal­ten.“[4]

Alex­an­dra Lie­big

Diplom-Kriminalistin, Berufsverbot, Emigration nach Frankreich, wohnt bei Paris.
Ist manchmal auch bei den Demos in Paris gegen Demokratieabbau und für soziale Rechte zu finden.
Artikel für die UZ. Übersetzungen für die französischen Genossen

Mit freundlicher Genehmigung der KAZ – Kommunistische Arbeiterzeitung

 

Erstveröffentlichung bei KAZ online: http://kaz-online.de/artikel/falsche-faehrten

Endnoten:

[1] www.legrandsoir.info/ornella-guyet-l-archetype-de-la-desinformation.html und andere

[2] ABC: «Alles außer Klasse». Michael Parenti: Le mythe des jumeaux totalitaire, S. 166. Edition Delga, 2014, Paris.

[3] www.youtube.com/watch?v=FtriFMxsOWw Eine englische Übersetzung wurde von Mélenchon angeregt.

[4] Siehe Ausführungen von Ignacio Ramonet (leider auch nur Frz.): www.medelu.org/Gunter-Holzmann


Bild: Massenprotest gegen die Überarbeitung der Arbeitsgesetze durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron – Beamtenstreik & Demo in Paris – 10. Oktober 2017
Quelle: https://www.flickr.com/photos/jmenj/37362382120 [Attribution 2.0 Generic (CC BY 2.0)]