Demokratie – Medien – Aufklärung

Verschwörungstheorien – Antilinke Herrschaftssprache mit Aussicht auf Erfolg

Aus: „FREIDENKER“ Nr. 2-14, Juli 2014, S. 10-13, 73. Jahrgang

von Sabine Schiffer

 

Kürzlich war ich zu einer Lehrkräftefortbildung in ein bayerisches Gymnasium eingeladen. Ich sollte meine Forschungsergebnisse zur Medienbildung an Schulen darlegen, mein neues Buch „Bildung und Medien“ vorstellen und aus der Praxis des medienpädagogischen Alltags berichten. Das tat ich und es stellte sich bald heraus, dass im Kollegium wenig Wissen über die Verflechtung von Computerspieleindustrie, Wissenschaft und Politik vorhanden war und man deshalb auch so manches Konzept, das sich für den schulischen Alltag als untauglich erwies, bis dato nicht richtig einordnen konnte. Ich stellte also einige Zusammenhänge dar und machte am Beispiel der FH Köln das finanzielle Einwirken der Branche auf Forschung und Lehre in Sachen „Computerspielepädagogik“ deutlich, was Auswüchse bis hinein in die Bundeszentrale für politische Bildung zeigt. Electronic Arts und Nintendo lassen grüßen. Inzwischen ist die Organisationsform des „Spielraum“-Instituts an der FH Köln in eine Stiftung übergegangen, was dem Ganzen einen etwas seriöseren Anstrich geben könnte – aber vor allem auch steuersparend wirken dürfte. Belege für die genannten Zusammenhänge finden sich im ersten Kapitel meines Buches, sowie noch einige weitere eindrückliche Beispiele für die Kooperation einer interessierten Branche mit ihren Steigbügelhaltern in der Politik und vom Hype profitierenden „Wissenschaftlern“. Stichwort „Drittmittel“.

Während die meisten Teilnehmenden der Fortbildung interessiert zuhörten und auch das ein oder andere Aha-Erlebnis zum Ausdruck brachten, meinte eine junge Kollegin, dass sich das alles nach einer „Verschwörungstheorie“ anhöre – damit war für sie das Thema erledigt und das eigene „moderne“ Konzept technischer Medienpädagogik gerettet. Lange haben die Seminarleitung und ich noch darüber gerätselt, wieso sie den Begriff „Verschwörungstheorie“ verwendet hat und was dieser genau im genannten Zusammenhang bedeuten könnte. Zunächst konnten wir uns keinen Reim drauf machen. Ich war es ja zudem gewohnt, dass man mich der „Verschwörungstheorien“ bezichtigt, was nach meiner Erfahrung zu einer Art Schimpfwort gegen investigativen Journalismus oder unabhängige und kritische Forschung geworden ist.

Ein Beispiel für Sprachwandel durch Politik?

Ganz offensichtlich hat der Begriff einen Bedeutungswandel erfahren, vermutlich durch seine inflationäre Verwendung. Bezog er sich einst – etwa zu Zeiten eines George W. Bush – auf eine tatsächlich vermutete Verschwörung, nämlich die von Osama bin Laden und weiteren Arabern, die sich gegen die USA verschworen hatten, so wurde der Begriff auch damals schon vor allem zur Abwehr von Kritik oder Zweifeln an dieser offiziellen Verschwörungstheorie benutzt. Es war also ein denunziatorischer Begriff, der tatsächlich nichts mehr mit einer möglicherweise zugrunde liegenden und noch nicht bewiesenen Verschwörung zu tun hatte, sondern schlicht die Bedeutung der Ablehnung von Nachfragen annahm. Also genau das, was jeglichen Journalismus ausmacht bzw. ausmachen sollte, sowie jegliche unabhängige Wissenschaft.

Immer öfter und immer unspezifischer werden seither kritische Köpfe als „Verschwörungstheoretiker“ diffamiert. Nun gibt es solche Menschen, die hinter allem eine böse Verschwörung sehen, wo entweder „die Freimaurer“ oder andere supranationalen Organisationen federführend sein sollen, aber vor allem immer dieselben Verdächtigten EINE einzige Verschwörung zu fahren scheinen. Dass es für einzelne Entwicklungen wechselnde Interessengruppen und Akteure gibt, die vielleicht hinter einer konkreten Sache stecken können, kommt im Spektrum dieser Welterklärer dann tatsächlich nicht mehr vor. Was aber mit denen, die merken, dass so manche Behauptung nicht stimmt – oder oft im Nachhinein, nicht gestimmt hat? Tut man in einer aufgeklärten Gesellschaft, die über komplexe Politik- und Mediensysteme verfügt, nicht gut daran, die Erscheinungsbilder zu hinterfragen und sich nicht mit platten Einfachsterklärungen zufrieden zu geben? Gerade wenn Medien Themen, Bilder und Worte auswählen und damit Perspektiven auf und Rahmungen von Sachverhalten nahe- bzw. festlegen? Einen Bombenleger kann man als „Terrorist“ oder „Freiheitskämpfer“ bezeichnen, eine Finanztransaktion „Rettung“ oder „Verschuldung“. Warum leisten wir es uns, dass es keine systematische Medienbildung an Schulen gibt, um Dekonstruktionsprozesse für Bilder und Sprache zu vermitteln und die Reflexion über Meinungsbildungsprozesse zu unterstützen für eine aufgeklärte Demokratie?

Von Montagsdemos und antisemitischen Selbstzerfleischungen

Während bestimmte Kreise der Gesellschaft von solchen Überlegungen weitestgehend verschont bleiben, scheint die Debatte um „Verschwörungstheorien“ geeignet, genau die aufgeklärten Kräfte der Gesellschaft zu spalten. Wie sich am Streit in der Linken um die neuen sog. Montagsdemonstrationen zeigt, ist man sich in bestimmten linken Kreisen überhaupt nicht bewusst, wie stark der Begriff Teil der Herrschaftssprache ist, die federführend von einem kleinen Kreis anti-deutscher bzw. anti-linker Argumentationslogik mitgestaltet wurde.

Statt sich mit den „Mahnwachen für den Frieden“, so die facebook-Bezeichnung der Bewegung, differenziert auseinander zu setzen, greift verallgemeinernde Polemik um sich. Das tut niemandem gut und schadet jeglicher Gesellschaftskritik inklusive der alten Friedensbewegung – denn dort war von jeher das Bekämpfen der Kriegslogik mit der Bekämpfung kapitalistischer Logiken verknüpft. Und die Friedensbewegung weiß zu Genüge, wie schnell man bei der Kritik an Wirtschaftsform und Finanzsystem in die verschwörungstheoretische oder gar antisemitische Ecke geschoben werden kann.

Da kann man keine „richtigen Begriffe“ mehr finden, seitdem es sog. antideutschen Stimmführern gelungen ist, ihren eigenen antisemitischen Reflex – nämlich hinter allem Geldlichen „den Juden“ zu vermuten – allen anderen zu unterstellen. Und dies auch, wenn diese bei der Kritik an Bankensystem, Spekulationsblasen oder angeblichen „Rettungsschirmen“, ja sogar bei Kritik am Zinseszins, gar nicht an Juden denken. Wie kann man also über solche Dinge reden? Und wie kann man die Spreu vom Weizen trennen, ohne Bewegungen wie Attac und Blockupy pauschal zu delegitimieren mitsamt der sehr berechtigten Kritik an bestehenden kapitalistischen Verhältnissen? Festzustellen ist, dass es über die beobachtbare Vorwurfskultur immer wieder gelingt, gesellschaftskritische Bewegungen zu schwächen oder gar auszuhebeln.

Die aktuellen Polemiken rund um die sog. Montagsdemos sind ein weiterer Unterwerfungsritus unter den Herrschaftsdiskurs. Sie arbeiten anti-linker Aushebelung von Kapitalismuskritik zu. Wer die Schriften eines Samuel Salzborn und seiner Vasallen liest, die im Peter Lang Verlag ihre wissenschaftlich verbrämten Denunziationsschriften verbreiten, erkennt schnell den Zusammenhang zwischen vermeintlicher Judenliebe und dem Trick, das antisemitische Argument gegen jede Kapitalismuskritik ins Feld zu führen.

Vieles läuft über die Gleichsetzung von Israel, Finanzsystem und Judentum und dem akribischen Lauern auf Sprachfetzen, die irgendwie an Nazi-Sprache erinnern könnten. Worte wie „Ghetto“, „Kindstötung“, „Ungerechtigkeit“, „Wachstumszwang“ oder „Vernichtung“ gehen dann einfach nicht mehr. Und Worte wie „Bank“, „Wirtschaft“ und „Finanzsystem“, aber vor allem „Zinsen“ oder „Abzocke“ auch nicht. Deren Verwendung wurde systematisch verunmöglicht, die dahinter stehende Kritik damit tabuisiert.

Die Wertung von antikapitalistischer Gesellschaftskritik als „rückwärtsgewandt“ ist zudem auffällig im anti-linken = anti-deutschen Diskurs. Über Parallelisierungen zur Nazi-Zeit, sowie tatsächlich antisemitischen Auslassungen – wo Juden als Juden angegriffen werden – wird jede berechtigte Kritik an Globalisierungstendenzen mitsamt dem Export von Folter und Krieg mit Sprachlosigkeit belegt.

Dass tatsächlich Antideutsche mit Israelfahnen und dem Union Jack die Montagsdemos beehren und lauthals zu stören suchen, verwundert so manche kritische Beobachter der Entwicklung der letzten 20 Jahre nicht. Und dass genau dieselben jungen Leute beim Auftauchen von Ken Jebsen, dem ehemaligen rbb-Moderator, der einer Intrige Henryk Broders zum Opfer gefallen ist, Alufolie auf die Köpfe ziehen und ihm lauthals zujubeln, zeugt auffällig von dem Wunsch, berechtige Kritik an Mediensystem und Berichterstattung zu diskreditieren. Das heißt nicht, dass es nicht tatsächlich rechts-esoterische Kreise gibt, die die Demos zu unterwandern versuchen. Die Mahnwachen damit zu identifizieren, bedeutet jedoch, antideutscher = antilinker Agitation Recht zu geben.

Alles neu-rechte Spinner?

Die Anschlussfähigkeit anti-linker Polemiken an den Mainstream, der gerne Linke als Träumer oder Gefahr darstellt, ist das eine Problem der Entwicklung der letzten 20 Jahre. Das andere Problem sind Linke, die das Spiel nicht durchschauen. Wenn Lars Mährholz, der Anmelder der Montagsmahnwachen in Berlin, davon spricht, dass die privat organisierte Federal Reserve Bank (FED) über das Drucken der Leitwährung Dollar einen wesentlichen Schlüssel zur Gestaltung der Welt in der Hand hält, dann ist das nicht ganz von der Hand zu weisen.

Wenn er aber sagt, dass alle Konflikte dieser Welt und die kriegerische Entwicklung allein und ausschließlich auf diese FED zurück zu führen seien, so ist das zunächst einmal eine gewagte Verallgemeinerung, die einer kritischen Überprüfung nicht stand hält. Hätte er behauptet, die FED würde von Juden geleitet, dann wäre die Welterklärung eindeutig antisemitisch. Ohne eine solche Behauptung ist die Aussage jedoch nicht antisemitisch. Denn: die Tatsache, dass es tatsächlich antisemitische Welterklärungen gab und gibt, macht noch nicht jeden Versuch einer Reduktion komplexer Sachverhalte auf eine einfache Erklärung automatisch zu Antisemitismus.

Problematischer wird es, wenn es um Andeutungen geht oder es sich um Andeutungen beim Redner handeln könnte. Wie kann man klären, ob es sich um Missverständnisse oder Unwissen um größere Zusammenhänge handelt, oder eben tatsächlich um versteckten Antisemitismus, der sich unterschwellig Bahn bricht? An dieser Stelle hilft nur das persönliche Gespräch, die Grundtugend des Journalismus, die andere Seite um ihr Wort zu bitten und durch kritisches Nachfragen zu klären, womit man es genau zu tun hat. Dies unterlassen auffällig die vielen Bessermenschen, die Antisemitismus angeblich wittern können. Die Tugend der „Barfußrecherche“, wie Jutta Ditfurth ihre Methode selbst nennt, wäre hier anzuwenden. Das scheint nicht gelungen zu sein, wenn man sich die Ergüsse in Facebook zu dem Trauerspiel um die Demos einmal anschaut.

Und anstatt einen Schritt zurück zu treten, tief durchzuatmen und das Nachdenken nochmal von vorne zu beginnen, scheint so manch Beteiligter sich schon so verrannt zu haben, dass sie ein borniertes „Weiter so“ betreiben – zur Freude der herrschenden Klasse, die natürlich nicht will, dass hier eine wachsende Bewegung effektiver Gesellschaftskritik entsteht, wie man sie neuerdings immer wieder mal beobachten konnte, sei es in Stuttgart oder eben Frankfurt.

Von der Begriffskritik zur Unterscheidung

Das Beispiel Montagsdemos ist gut geeignet, um noch einen weiteren Reflex deutlich zu machen, der im Kontext vermuteter Verschwörungen, worüber es dann ja Theorien gibt, aufscheint. Wir alle funktionieren ja pars-pro-toto, das heißt, wenn wir etwas sehen, das immer nur ein Teil aus einem großen Ganzen ist, dann schließen wir automatisch auf das Ganze. Dies geschieht beim Betrachten von Medienbildern, wo man den ausgewählten Ausschnitt gerne mal mit der realen Situation vor Ort verwechselt. Dies geschieht mit Zitaten, die aus dem Kontext herausgelöst für alle möglichen Zwecke verwendet werden können – und diese Interpretationen können dann für viele unreflektiert dem Äußernden des Zitats wieder zugewiesen werden. Auch hier findet Sprachwandel statt und manchmal wird dieser auch ganz bewusst gesteuert, um bestimmte Ziele zu erreichen. Dafür gibt es etwa teuer bezahlte Spin-Doktoren in PR-Agenturen und Think Tanks.

Dass es in den letzten Jahren gelungen ist, jede unliebsame Kritik – ich erinnere beispielhaft an den erwähnten Einfluss der IT-Branche auf medienpädagogische Konzepte – als „Verschwörungstheorie“ für die breite Öffentlichkeit so schnell vom Tisch zu fegen, dass kaum noch jemand in Ruhe darüber nachdenken kann, sollte gerade die wirklich Progressiven nachdenklich machen. Auf keinen Fall sollte es sie dazu animieren, bei dem Spiel auch noch mitzumachen. Dies tut man aber, wenn man Teile einer Bewegung mit dieser gleichsetzt – etwa pars-pro-toto bestimmte Bilder von Demonstranten oder Aussagen von Demonstrierenden als repräsentativ für die ganze Versammlung darstellt. Wie man bei einer Reportage des ZDF gut sehen konnte, fischte der Reporter tatsächlich am Rand der Demo in Berlin – und zwar randständige Stimmen, denn es wurde überhaupt nicht deutlich, was die Befragten eigentlich wollten. Dies wurde breit und fast süffisant gesendet.

Heißt das, alle Demonstrierenden sind dumm? Warum wurden nicht die Redner oder der Organisator interviewt? Weil man sonst auch immer nur die Politiker zeigt, die schon viel Redezeit hatten und andere nicht zu Wort kommen? Wollte man gerade hier dem Pluralismus huldigen? Und wenn da einige ans Jenseits Glaubende oder andere, die sich vor chemischen, kosmischen oder sonstigen Strahlen fürchten zu auftauchen, was sagt das über die Demo aus? Alles Kornkreise- Anbeter und Chemtrail-Ängstliche? Und was, wenn ein dubioser Redner erkannt wird, diskreditiert das die ganze Veranstaltung? Müsste man nicht deren weitere Entwicklung genau beobachten? Gerade demonstrationserfahrene Linke müssten doch wissen, wie leicht man das berechtige Anliegen einer Demo diskreditieren kann – indem man einen schwarzen Block oder sonstige agents provocateurs einschleust.

Ad hominem und Verschwörungstheorien – das Mittel fürs „Weiter so!“

Wir kennen das aus anderen Bereichen auch: Wenn jemand keine wirklichen Argumente hat, fährt man Ad hominem-Attacken – mein google-Profil spricht Bände davon. So umgeht man die Auseinandersetzung mit den Inhalten, um die es gehen sollte. Wie gut das Labelling als „Nicht diskussionswürdig“ funktioniert, zeigt exemplarisch die Verwendung des Schimpfwortes „Verschwörungstheorie“ oder „Verschwörungstheoretiker“. Wie sehr damit Macht ausgeübt wird, wird deutlich, wenn man nach einem Gegenbegriff sucht. Die Macher der ZDF-Anstalt haben es im Kontext der Ukraine-Berichterstattung einmal versucht und der abwertenden Benennung „Putin- Versteher“ für Kritiker der Ukraine-Politik und -Berichterstattung den Begriff „Nato-Versteher“ gegenüber gestellt. Wie erfolgreich eine solche Nominationspraxis im herrschenden Machtgefälle ist, kann ab sofort nachgeprüft werden – ein brauchbares Ergebnis liefert dafür sogar Google.

Dr. Sabine Schiffer ist Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen/Berlin und Beiratsmitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes


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