Demokratie – Medien – Aufklärung

„Nicht rechts, nicht links“?

Aus: „FREIDENKER“ Nr. 1-16, März 2016, S. 3-7, 75. Jahrgang

In politischen Auseinandersetzungen und Bewegungen begegnet man dieser Aussage häufig. Sie ist aber oft sehr unterschiedlich motiviert, mit ihr können sehr verschiedene Zwecke gemeint sein. Die unterschiedlichen Motive und Zwecke muss man kennen und unterscheiden, weil man sich andernfalls sparen könnte, darauf einzugehen. „Ich bin nicht links, ich bin nicht rechts, ich denke selbst!“ ist eine im Internet populäre Losung. Während der letzte Teil des Satzes sympathisch, ja freidenkerisch klingt, können Viele mit dem ersten Teil nicht so recht was anfangen.

Wer schon längere Zeit politisch aktiv ist, bringt der Losung „Nicht rechts, nicht links“ Unverständnis und Skepsis entgegen. Die Skepsis kann in manchen Fällen begründet sein, wo unter dieser Flagge bewusst Rosstäuscherei und Etikettenschwindel betrieben wird. Thilo Sarrazin, SPD-Mitglied und Autor Rassismus-haltiger Bestseller, behauptet: „Die meisten Themen lassen sich nicht mehr im herkömmlichen Links-Rechts-Schema einordnen“[1]. Jürgen Elsässer, Wanderer vom Kommunistischen Bund über „konkret“ und die „Antideutschen“, zu „junge Welt“ und „ND“, um schließlich als Sarrazin- und Pegida-Verehrer als Herausgeber des Magazins „Compact“ zu landen, will diese Wanderung zwischen den Welten ganz selbstverständlich erscheinen lassen, indem er den Unterschied zwischen Links und rechts einfach einebnet.

Klaus Hartmann schrieb dazu im „Freidenker“ 1-2015, S. 21: „Elsässers Botschaft ‚Nicht links, nicht rechts, sondern vorwärts‘[2] hat bei Vielen verfangen, die sich davon Entlastung vom pauschalen Vorwurf versprachen, „rechts“ zu sein, sie durchschauten nicht die damit verbundene Absicht, zumindest aber Inkaufnahme, auch Nazis in den Protest einzugemeinden. Die positive Reaktion ist verständlich in einer Zeit, in der von Lehrstühlen unverdrossen die „Totalitarismus“-Doktrin gepredigt wird, fast alle Parteien behaupten, „Mitte“ zu sein, aber kaum jemand die ‚Karriere‘ der Losung kennt: „Wir sind nicht die linke Mitte, wir sind nicht die rechte Mitte, wir sind die Mitte“, meinte der reaktionäre Franz-Josef-Strauß[3], und Die Grünen wahlkämpften 1980: „Wir sind nicht rechts, wir sind nicht links, wir sind vorn“[4]. 2009 entdeckten die Piraten den Slogan[5], 2013 dann die AfD[6].“

Ergänzend soll auf den Buchtitel hingewiesen werden: „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“: Eine Geschichte der Gründungsgrünen, erschienen 2011, oder auf Gerhard Schröders Wahlkampflosung 1998: „Die neue Mitte“, und seit Neuestem trägt die „Identitäre Bewegung“ den Slogan vor sich her: „Nicht rechts, nicht links: Identitär!“ Die Zahl derer, die nicht als rechts oder links gelten wollen, ist also unübersehbar groß, und das Spektrum jener reicht ironischerweise von links bis rechts.

Wer sich also als politisch Ungeschulter nicht zuordnen oder vereinnahmen lassen will, dem möglicherweise die politischen Koordinaten fremd oder egal sind, und sich deshalb als „nicht rechts, nicht links“ bezeichnet, der entkommt dem Dilemma leider nicht, denn an diesem vermeintlich unpolitischen Ort tummeln sich schon viele, die diese Losung als Werbeslogan entdeckt haben. Und die „nicht – nicht“-sein-Wollenden als Zielgruppe.

 

Die Linken: hilflos

Trotzdem erstaunt es, wie orientierungslos Linke auf das verbreitete Phänomen reagieren, dass viele, besonders Jugendliche, mit „rechts und links“ nichts anfangen können, das Schema ablehnen und sich verweigern. Unverdrossen wird „gegen rechts“ agitiert, und nicht bemerkt, dass man einerseits den Gegner verfehlt, und sich andererseits kaum jemand angesprochen fühlt. „Rechts“, „rechts offen“ oder „neurechts“ sind willkürliche Zuschreibungen geworden, die kleine Münze im tagespolitischen Schlagabtausch. Die Sinnentleerung der Begriffe folgt dem realen Sinnverlust dessen, was heute inhaltlich unter rechts und links verstanden werden kann.

Dazu schreiben Doris und George Pumphrey (Friedenskoordination Berlin, der Brief liegt der Redaktion vor): „Für viele, die nicht aus einem ‚linken Stall‘ kommen, oder / und erst nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in Europa geboren wurden, sind Unterscheidungen zwischen rechts und links oft nicht erkennbar. Dies ist nicht ihr Verschulden, sondern das Resultat der Schwäche und des Versagens der linken Kräfte. Was als ‚links‘ gilt, ist heute oftmals bis zur Unkenntlichkeit verwischt.

Wie sollen politisch Unerfahrene heute zwischen links und rechts unterscheiden, wenn jene Kräfte, die weithin als links galten, die Agenda 2010 verbrochen haben, Banken mit Milliarden versorgen und den Lohnabhängigen und arbeitslosen und selbst den kleinen Unternehmern das Leben immer unerträglicher machen? Oder eine Linkspartei in Regierungskoalitionen mit der SPD neoliberale Politik fortsetzt? Oder wenn eine SPD/Grüne Regierung die erste Beteiligung Deutschlands an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg nach 1945 zu verantworten hat?

Wie sollen die vielen politisch Unerfahrenen erfahren was links ist, wenn in einer Partei, die für dich den Namen links in Anspruch nimmt, Transatlantiker und BAK Shalom-Unterstützer Spitzenpositionen bekleiden? Oder was ist antifaschistisch, wenn in der VVN oder anderen sich antifaschistisch nennenden Gruppen ‚Antideutsche‘, die nichts anderes sind als die deutsche Variante der US-Neocons, immer mehr das Sagen haben?

Stellen wir uns Menschen vor, die den Unterschied zwischen links und rechts bis jetzt nicht wirklich erfahren haben, die sich selbst weder als links noch als rechts sehen. Sie haben noch keine Linken gesehen, die auf dem Marktplatz ihrer Stadt zum öffentlichen Protest gegen die Regierungspolitik aufgerufen haben. Dann gab es aber eine Versammlung, und sie gingen auf den Marktplatz, weil da jemand ‚die Politiker‘ beschimpft, die sie auch nicht mögen, die Politik der EU, die Armutsrenten, Hartz IV, den Mietwucher und die fehlenden Sozialwohnungen anklagt, aber ihnen auch suggeriert, sie hätten mehr, wenn da eben diese Flüchtlinge oder der Islam nicht wären.

Stellen wir uns vor, sie sind sogar begeistert, dass da endlich mal jemand auf der Straße ‚denen da oben die Wahrheit sagt, ihre eigene Wut ausdrückt. Vielleicht sind sie ja nicht mit allem einverstanden, was sie da hören, aber sie fühlen sich gar nicht ‚rechts‘ bestimmt nicht als Nazis oder Faschisten, und sie sind ganz bestimmt gegen den Krieg.

 

Was Not täte: Aufklärung!

Aber weil sie denen auf dem Marktplatz zuhören, werden sie von Leuten, die sich ‚Antifa‘ nennen als Faschisten beschimpft. Dann kaufen sie eine linke Zeitung, weil die zu sozialen Problemen oder gegen den Krieg schreibt, was sie nicht schlecht finden, aber jetzt lesen sie Artikel, die sie vor den Kopf stoßen: auch diese Zeitung bezeichnet sie plötzlich als ‚rechts‘, beschimpft sie als Rassisten, und noch schlimmer, Nazis und Faschisten.

Und dann denken sie: ‚Sowas Arrogantes, wie die auf mich runterblicken. Die wollen links sein und beschimpfen mich. Vielleicht versteh ich ja noch nicht alles. Aber wenn das links ist, will ich nichts damit zu tun haben.‘

In einer Zeit, in der es die ureigenste und wichtigste Aufgabe einer linken (gar kommunistischen) Zeitung wäre, sich jenen Menschen zuzuwenden, die Orientierung suchen, ihnen zu helfen Zusammenhänge zu verstehen, um nicht auf vereinfachende Parolen hereinzufallen, werden auch noch Leute als ‚Querfront‘ diffamiert, die bewusst dort auftreten, wo die Massen sind, um gegen rechte Parolen und Rassismus zu argumentieren. Deren Aussagen werden von einigen, die sich als Inquisitionsinstanz aufspielen, genau geprüft, ob sie dem von ihnen aufgestellten Reinheitsgebot entsprechen oder nicht. Lern- und Erfahrungsprozesse werden gar nicht erst zugestanden. Und anstelle aufzuzeigen, in welchem Interesse bestimmte Begrifflichkeiten von interessierter Gegenseite ins Spiel gebracht wurden, nämlich um die Antikriegsbewegung klein zu halten (und eine soziale erst gar nicht hochkommen zu lassen), werden sie brav übernommen.“

Aufgabe von Linken müsste es hingegen sein, um Doris und George abschließend zu zitieren, „Menschen die Ursachen und Zusammenhänge der wachsenden Probleme, mit denen sie konfrontiert werden und unter denen sie zusehends leiden, besser zu verstehen, und sie motivieren, sich dagegen zu mobilisieren.“

Hajo Kahlke vom Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg schreibt zum Thema: „Dder vielleicht wichtigste Begriff, den die ‚Bertelsmänner‘ gekapert haben, ist der Begriff ‚rechts‘ bzw. davon abgeleitet die Formel ‚Kampf gegen rechts‘: Die menschenverachtenden Hartz-Vier-Spezialdemokraten und olivgrünen Kriegstreiber, die gesamten Blockparteien CDU-SPD-GRÜNE-FDP, sie alle sind plötzlich keine Rechten mehr!

Der entscheidende Unterschied zwischen links und rechts, nämlich das Verhältnis zum Sozialismus einerseits und zum Imperialismus und besonders zu seinen Kriegen andererseits, wird dabei völlig negiert.

Stattdessen wird, in nur scheinbarer Anknüpfung an das linke Prinzip des Internationalismus, die Stellung zu Immigration und Multikulti als das alles entscheidende Kriterium für den Unterschied zwischen rechts und links hingestellt. Damit ist die antisozialistische, proimperialistische, immigrations- und multikulti-bejahende Mainstream-Rechte aus dem linken Schussfeld fein raus, während die antisozialistische, proimperialistische, immigrations- und multikulti- feindliche Minoritäsrechte dann als Pappkamerad für die Linke fungiert, auf den diese Tag und Nacht ununterbrochen einschlagen darf.“

Bei aller grundsätzlichen Berechtigung, an der Differenz und Unterscheidbarkeit von links und rechts festzuhalten, den Missbrauch dieser Positionsbestimmungen zu enttarnen und anzugreifen, und auch selbst die eigene linke Position zu verteidigen, darf man die objektiv komplizierte Lage nicht übersehen: Wie ist es zu bewerten, wenn sozialdemokratische Regierungsmitglieder Waffen nach Israel, Saudi-Arabien und Katar durchwinken, Sanktionen gegen Russland und Syrien mittragen, aber ein Christdemokrat wie Willy Wimmer entschieden dagegen protestiert?

Zu dieser Problematik Auszüge aus dem Beitrag eines schweizerischen Marxisten:

 

Marcel Hostettler
Was schert uns die historische Sitzordnung der verfassungs- und gesetzgebenden Versammlungen Frankreichs?

Vom Standpunkt des Marxismus handelt es sich bei solchen Begriffspaaren wie “rechts” und “links”, “reaktionär” und “progressiv”, um Definitionen, die nie absolut, für sich allein gestellt, genommen werden können. Wer eine solche Positionsangabe macht, der sollte immer auch angeben, hinsichtlich welcher Frage er sich die polititsche Landschaft von links nach rechts geordnet denkt. Wenn ein solcher Bezugsrahmen fehlt, dann sollte man keinen Gebrauch von dieser Raum-Metapher machen, die auf die Sitzordnung im französischen Revolutionsparlament zurückgeht. Dann trägt diese Metaphorik nicht nur nichts zur Klärung bei, sondern stiftet eher Verwirrung und kann bösen Schaden anrichten.

Der Hauptschlag der gegenwärtigen Etappe ist gegen den Imperialismus zu führen. Vom daher massgebenden Standpunkt des Antiimperialismus aus, stellt sich nicht selten heraus, dass Positionen, welche die grössten Übereinstimmungen mit unseren eigenen Beurteilungen aufweisen, ausgerechnet von bürgerlichen Kräften ausgehen, besonders von denen, die vom medialen Mainstream gerne als “rechtspopulistisch” abgestempelt werden. (…)

Der seinerzeitige französische Staatspräsident Charles de Gaulle erwarb sich in wichtigen Kämpfen gegen den US-Imperialismus und gegen den Zionismus Verdienste, die auch uns Anerkennung abfordern. Er unterdrückte in Algerien und Frankreich die Hochverräter, die zu den Mitteln des Terrors gegriffen hatten, um sich dem kolonialen Rückzug Frankreichs zu widersetzen. De Gaulle stand hier in Wort und Tat weit links von den Sozialisten verschiedener Schattierung. Die Rechtsaussenposition bestand in den 1960er Jahren im Plan, Frankreich in die NATO-Militärstruktur zurückzuführen, und die beiden Hauptträger des Widerstands gegen die Bestrebungen des internationalen Finanzkapitals, nämlich die kommunistische Arbeiterbewegung und den patriotischen Gaullismus, als Machtfaktoren auszuschalten. Eben diesem Ziel hatten sich Lieblinge der 68er-Bewegung verschrieben, vom alten Mendès-France bis zum jungen Cohn-Bendit.

So wie auf Frankreichs Fluren gelegentlich eine Umpolung von links und rechts eintritt, scheinen diese Pole auch in der Schweiz in Bewegung zu geraten, was die Eskalation der Offensive des imperialistischen Blocks (USA-NATO-EU) anbelangt. Im Interview mit dem russischen Kanal Prorussia.tv bezeichnete der SVP-Aussenpolitiker Oskar Freysinger die Putschistenjunta in Kiew als Faschisten und Neonazis, verurteilte die Provokationen der Westmächte an den Grenzen Russlands und äußerte Verständnis für die russische Haltung. (…)

Das Denken in verkrusteten und verabsolutierten Links-Rechts-Schemata ist undialektisch. Modelle sind Abbildungen der objektiven Realität. Ein grobes Modell hat den Zweck, die Komplexität der objektiven Realität auf einige wenige beherrschbare “Führungsgrößen” zu reduzieren. Die Nutzanwendung der Modellmethode liegt darin, dass man am Modell Szenarien und strategische Varianten ausprobieren und (zu geringeren Kosten als im Realexperiment) Erkenntnisse gewinnen kann, die sich dann auf die abgebildete Realität übertragen lassen. Wendet man allerdings ein Modell mit nur einer einzigen Dimension (der Links-Rechts-Achse) auf eine komplexere Realität an, so kann nur ein grob verzerrtes Abbild herauskommen. Mit anderen Worten: ein so simples Modell kann nur auf einen engen Ausschnitt aus der objektiven Realität bezogen werden, auf eine hinlänglich präzisierte und konkrete Lage.

Unter den Bedingungen der ideologischen Luftherrschaft der Bourgeoisie hat die herrschende Klasse auch die Macht an sich gerissen, zu definieren, was in der sozialen Kommunikation als “reaktionär” und “fortschrittlich” zu gelten habe. Ja, es ist so weit gekommen, dass die Medien im Dienst des Großkapitals, dass bürgerliche Journalisten, eingefleischte Antikommunisten, sich damit beschäftigen zu definieren, was sich für gute Linke geziemt, und wer für die Kommunisten als bündnisfähig zu gelten hat. Nicht wenige Mitglieder und Sympathisanten von kommunistischen und Arbeiterparteien lassen sich davon beeindrucken und halten sich in ihrer Praxis der Solidaritäts- und Bündnispolitik an die definierten Tabus. Stärker Beeinflussbare lassen sich dazu drängen, den Kriegstreibern auch aktiv propagandistische Schützenhilfe zu erweisen, indem sie sich an Kampagnen zur Isolierung und Diffamierung der Opfer imperialistischer Überfälle beteiligen. Nicht zu vergessen die bewussten Agenten des Imperialismus, welche die Redlichkeit der Genossen und die unter ihnen gestiftete Verwirrung für allerlei Manöver ausnützen. Solche Leute, die sich eifrig an den Propagandakampagnen der Kriegstreiber zur Schürung von Konflikten und zur Hintertreibung friedlicher Regelungen beteiligen, um schließlich, in der Zielgerade angelangt, sich heuchlerisch gegen den Krieg als Mittel auszusprechen und nach politischen Lösungen zu rufen. (…)

 

[1] http://www.morgenpost.de/berlin/article132721364/SPD-Querdenker-Thilo-Sarrazin-lobt-die-AfD.html

[2] http://www.tagesspiegel.de/berlin/neue-montagsdemos-friedensbewegung-mit-brauntoenen/9786662.html

[3] http://www.spkantonzh.ch/icc.asp?oid=32555

[4] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14320701.html

[5] http://www.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/konstanz/Wir-sind-keine-Spasspartei;art372448,3946744

[6] https://www.facebook.com/AfD.Thueringen/posts/186762188142955


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  Nicht rechts, nicht links“? ((Auszug aus FREIDENKER 1-16, ca. 315 KB)


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