Religions- & Kirchenkritik, Säkulare Szene

Gegen Tischgebete in den kommunalen Kindergärten

Offener Brief: Tischgebete in den kommunalen Kindergärten Bad Endbachs

Dezember 2002

Sehr geehrter Herr Becker,

mit Sorge verfolgen wir Freidenker die Entwicklung, die die Auseinandersetzung um das obligatorische Tischgebet in den kommunalen Kindergärten ihrer Gemeinde nimmt. Leider entsteht hier allmählich eine Polarisierung, die der sachlichen Auseinandersetzung gewiss nicht dienlich ist.

Die Freidenker sind die älteste deutsche Vereinigung von Konfessionsfreien, und ein wichtiges Motiv für die Gründung des Deutschen Freidenkerbunds im Jahr 1881 war die Notwendigkeit, eine starke Interessenvertretung zu schaffen, um dem Einzelnen bei der Durchsetzung seiner Rechte zu helfen. Die Verfassung der Religionsfreiheit wurde seither entscheidend verbessert, in der Praxis ist es aber bedauerlicherweise für Konfessionsfreie immer noch notwendig, sich ihre Rechte vor Gericht erkämpfen zu müssen. Und selbst Grundsatzurteile (wie z.B. das Kruzifixurteil) werden anschließend wieder umgangen, und müssen an anderer Stelle von neuem eingeklagt werden. Es gibt hierzulande leider keinen einzigen Fall, in dem die (christliche) Mehrheit freiwillig, ohne den Zwang durch Gerichtsurteile, dem Begehren eines konfessionsfreien Bürgers nach Achtung seiner Grundrechte nachgegeben hätte.

Ich habe volles Verständnis dafür, wenn Sie darüber besorgt sind, dass Ihre Gemeinde ausgerechnet durch eine solche Auseinandersetzung bundesweit Aufmerksamkeit in den Medien gefunden hat. Hier wäre aber auch die Chance, mit einer gütlichen Einigung der interessierten Öffentlichkeit Bad Endbach als eine moderne, weltoffene Stadt zu präsentieren.

Sie berufen sich bei dem Beharren auf einem Tischgebet auf die „positive Religionsfreiheit“. Andere Gremien des öffentlichen Lebens ihrer Gemeinde tun dies inzwischen auch kund. Das Recht auf Ausübung seiner Religion oder Weltanschauung wird selbstverständlich jedem Bürger dieses demokratischen Rechtsstaats in vollem Umfang zugestanden und geschützt. Der Staat aber und alle staatlichen Einrichtungen müssen dabei neutral und unparteiisch bleiben. Der Staat selbst darf kein Bekenntnis oder Nicht-Bekenntnis fördern oder sich zur eigenen Sache machen. Ohne dieses Grundprinzip kann es keine Religions- und Weltanschauungsfreiheit geben! Schon die Gründungsväter der ältesten demokratischen Verfassung der westlichen Welt, der „Constitution“ der USA, haben dies als ehernes Prinzip festgeschrieben („establishment clause“). Und gerade auch am Beispiel der USA lässt sich zeigen, dass staatliche Neutralität keineswegs ein Mittel zur Bekämpfung der Religion darstellt (die Bürger der USA sind sogar religiöser als die vieler europäischer Staaten), sondern Grundvoraussetzung für das gleichberechtigte und friedliche Verhältnis der religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisse in einer Gesellschaft ist.

Natürlich gibt es auch in den USA immer wieder Bestrebungen, diese Neutralität auszuhebeln. So musste gerade in diesem Jahr das oberste Gericht Virginias einer staatlichen Militärakademie das Abhalten eines Tischgebets untersagen. Das Gericht begründete sein Urteil bemerkenswerterweise mit der gleichen Argumentation, mit der Herr Noll Sie bittet, in dem kommunalen Kindergarten seines Sohns keine Tischgebete mehr abzuhalten.

Im privaten Bereich darf jeder Bürger selbstverständlich so viel beten, wie er mag, und zu diesem privaten Bereich zählen hinsichtlich der religiösen Erziehung auch die vier kirchlichen Kindergärten Bad Endbachs. In diesen steht die Rechtmäßigkeit eines Tischgebets außer Frage. Bitte gestehen Sie aber ihren nicht- oder andersgläubigen Bürgern in den öffentlichen Einrichtungen einen neutralen Raum zu, in dem keine Religion oder Weltanschauung gefördert wird.

Lassen Sie es nicht erst darauf ankommen, von Gerichten hierzu gezwungen zu werden. Der Schaden für den öffentlichen Frieden in ihrer Gemeinde und für deren Ansehen in der Öffentlichkeit wäre nicht wieder gut zu machen.

Ich wünsche Ihnen aufrichtig ein besinnliches Weihnachtsfest,

mit freundlichem Gruß

 

Reinhard John
Bundesvorstand / Deutscher Freidenker-Verband e.V.


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