Bücher des VerbandesReligions- & Kirchenkritik, Säkulare SzeneWeltanschauung & Philosophie

„Ein besseres Leben – nicht glauben, sondern schaffen!“

Ludwig Feuerbach – Vorkämpfer, Vorbild, Denker, Diener der Wahrheit

Buchveröffentlichung im Eigenverlag des Deutschen Freidenker-Verbandes e.V., Verbandsvorstand

Materialien der Wissenschaftlichen Konferenz aus Anlass des 200. Geburtstages von Ludwig Feuerbach am 24. Juli 2004 in Nürnberg


Buchbesprechung von Dr. Horst Schild, Dresden

Aus Anlass des 200. Geburtstages von Ludwig Feuerbach veranstaltete der Deutsche Freidenker-Verband e. V. am 24. Juli 2004 in Nürnberg ein Symposium, dessen Materialien jetzt als Buch vorliegen.

Im einleitenden Beitrag unterstreicht der Bundesvorsitzende des DFV, Klaus Hartmann (Offenbach), die Verpflichtung des Deutschen Freidenker-Verbandes, als Weltanschauungsgemeinschaft das vernünftige, humanistische und materialistische Denken als sein ureigenstes Erbe zu pflegen. Auch darum ist die Beschäftigung mit Feuerbachs Philosophie nicht etwa nur eine Angelegenheit für „Spezialisten“. Sie korrespondiert vielmehr mit dem Ziel der Freidenkerbewegung, die Menschen nicht auf ein besseres „Jenseits“ zu vertrösten, sondern die Menschenwürde in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen, für ein menschenwürdiges Leben zu kämpfen und für solche sozialen und politischen Verhältnisse, die dies ermöglichen. Feuerbach ist untrennbar mit dem Prozess der Befreiung der bürgerlichen Philosophie von der Theologie verbunden. Er kritisierte mit Kirche und Religion die mächtigsten Stützen des reaktionären politischen und gesellschaftlichen Systems in Deutschland. Seine Kritik an Religion und Idealismus dienten ihm als Begründung eines weltanschaulichen Humanismus. Mit Feuerbach erreicht der bürgerliche Materialismus seinen Höhepunkt und zugleich sein Ende. Die Philosophie der imperialistischen Bourgeoisie unterscheidet nicht mehr nach Vernunft und Unvernunft, Irrationalismus und Absage an die Wahrheit sind zu ihren grundlegenden Merkmalen geworden. Als Freidenker sehen wir uns gerade auch darum in der Tradition Feuerbachs, den Irrationalismus nicht nur in seiner religiösen, sondern auch in seiner weltlichen Gestalt zu bekämpfen.

Unter dem Titel „Frank(e) und frei“ würdigt Helmut Steuerwald (Nürnberg) Leben und Werk Ludwig Feuerbachs. An Beispielen wird die zeitgenössische und anhaltende Wirkung der Feuerbachschen Philosophie dargestellt. Steuerwald zeichnet im Umriss den Lebensweg Feuerbachs nach, würdigt darin ebenso seinen humanistischen philosophischen Anspruch wie sein gesellschaftliches Engagement, etwa für den linken Flügel des Paulskirchenparlaments. Es wird dargestellt, wie die Stadt Nürnberg mit ihrem großen Sohn umging und umgeht.

Hans Heinz Holz (San Abbondio, Schweiz) titelt seinen Beitrag „Die Philosophie und ihr Gegenteil“. An den Anfang stellt er eine Erinnerung an Hegel, als dessen Antipode sich Feuerbach selbst verstanden habe. Trotz Würdigung des Hegelschen Gedankengebäudes als „Kulminationspunkt der spekulativ-systematischen Philosophie“, zielt Feuerbachs Hegelkritik gerade auf diesen Systemanspruch. Feuerbachs Leistung aber lediglich auf seine Religionskritik zu reduzieren, erfasst nur die Oberfläche seiner Philosophie. Vielmehr gründet seine Religionskritik in der Aufdeckung des Verkehrungscharakters der spekulativen Philosophie selbst, die Religionskritik rechtfertigt sich durch die Hegelkritik; und deren Schlüssigkeit entscheidet über die Akzeptanz der Anthropologisierung der Religion. Feuerbach zeigt, dass alles, was man von Gott sagt, die Übertragung wesentlicher Eigenschaften des Menschen auf ein höheres Wesen ist.

Für Feuerbach ist Religion, wie die spekulative Philosophie, eine Verkehrung von Subjekt und Prädikat. Holz verweist auf die Grenzen in Feuerbachs Umkehrungsprogramm. Ausgehend von der Sinnlichkeit, durch die uns die Materialität der Erfahrungsinhalte verbürgt ist, kann Feuerbach immer nur zur Materialität der Einzeldinge gelangen. Eine Begründung für die Realität des Gattungsallgemeinen oder gar für das jenseits jeder Anschauung liegende Ganze der Welt vermag er schlüssig nicht zugeben. Hier ist eine Lücke in der Feuerbachschen Philosophie, auf die Marx in seinen Feuerbachthesen verweist. Feuerbach reduziert Sinnlichkeit auf Anschauung, fasst sie nicht als praktische menschlich-sinnliche Tätigkeit. Insoweit ein Materiebegriff auch den dialektischen Begriff der materiellen Verhältnisse einschließt, kann das Feuerbachsche Umkehrungsprogramm letztlich eingelöst werden. Marx vollendet, was Feuerbach begonnen hatte: die Begründung der Philosophie auf ihr Gegenteil, die Nichtphilosophie. Aber das Andere der Philosophie, ihr Gegenteil, ist nicht, wie Feuerbach meint, die Sinnlichkeit, sondern ist das Tun, die Praxis. Ein Programm der Theorie-Praxis-Einheit konnte Feuerbach nicht aufstellen. Aber den Wegweiser dahin hat er errichtet.

Der Beitrag von Ernst Woit (Dresden) ist überschrieben: „Ludwig Feuerbach und Friedrich Nietzsche – über den Menschen, der keinen Gott mehr hat“. Was Philosophie – sinngemäß aber auch Theologie – sagen und erreichen will, macht sie letztlich an der Beantwortung der Frage deutlich: Was ist der Mensch? Es geht also um die Wesensbestimmung des Menschen – entweder als Geschöpf Gottes oder als ein Wesen, das sich vom Glauben an eine höhere göttliche Gewalt dadurch befreit, dass es alle Gottesvorstellungen als historisch bedingtes Menschenwerk erkennt. Wissenschaftliche Überlegungen zu Religion und zur „Gottes-Frage“ implizieren darum immer auch die Frage „Was ist der Mensch?“ Woit belegt diesen Ansatz, um sich explizit den sich antipodisch gegenüber stehenden Menschenbildern Feuerbachs und Nietzsches zuzuwenden. An ausgewählten Textstellen, insbesondere aus den „Grundsätzen der Philosophie der Zukunft“, belegt er Feuerbachs prinzipiell humanistische Orientierung, an die auch später Marx anknüpfen sollte. Obwohl auch Nietzsche das Christentum kritisiert und die Existenz Gottes infrage stellt, steht sein Ausgangspunkt dem Feuerbachs diametral gegenüber. Nietzsches Position ist sozialdarwinistisch und extrem antihumanistisch. Verherrlicht wird die Ausbeutung der Schwachen durch die Starken, Menschen sind entweder zum Herrschen oder zum Dienen und Gehorchen geboren. Also gibt es Herrenmoral und Sklavenmoral. Das Christentum ist für Nietzsche lediglich ein „Aufstand alles Am-Boden-Kriechende gegen das, was Höhe hat“, Ausdruck der Sklavenmoral.

Angesichts der Gefährdung aller progressiven Errungenschaften der Menschheit durch einen imperialistischen Raubtierkapitalismus, so gibt Woit zu bedenken, wäre es nicht verantwortbar, heute nur bei der Gottes-Frage stehen zu bleiben. Zweifellos gibt es in dieser Frage zwischen Atheisten und Christen keinerlei Vermittlung. Im gesellschaftlichen Engagement, im politischen Kampf können und müssen aber weltanschauliche Unterschiede nicht zum Kriterium für Bündnisse werden – vielmehr steht auch hierbei die Antwort auf die Frage „Was ist der Mensch?“
„Der ‚alte’ Feuerbach und die ‚neue’ Humanontogenetik“ – unter diesem Titel spannt Jan Bretschneider (Jena) den Bogen von der Wesensbestimmung des Menschen aus der Sicht Feuerbachs zu modernen Auffassungen. Für Feuerbach und dessen anthropologischen Materialismus, so Bretschneider, sind das Denken, die Sprache, das Sein und das Bewusstsein wesentlich. Später, anknüpfend an die Forschungen Darwins, wurden biotische Merkmale in das Menschenbild impliziert und eine komplexere Sicht angestrebt. Der Mensch wurde als Anthropo-Semaphoront gekennzeichnet. In den 80-er Jahren des vorigen Jahrhunderts entstand die Konzeption vom Menschen als biopsychosoziale Einheit. Diese Konzeption verweist auf die Einheit des biologischen Fundaments des Menschen, der Qualität menschlichen Verhaltens, die sich aus den spezifischen Umwelt-Interaktionen herleitet und schließlich der besonderen Form der sozialen Interaktionen. Indem die Humanontogenetik das wirkliche, ganze Wesen des Menschen (Feuerbach) impliziert, nutzt sie nicht nur die theoretische Konzeption der biopsychosozialen Einheit, sondern auch die Gedanken des ‚alten’ Feuerbach. Bretschneider stellt die relativ junge, komplexe Wissenschaft Humanontogenetik vor und weist ihren Bezug zu Feuerbachs Positionen nach.

Horst Schild (Dresden) gibt in seinem Beitrag einen Überblick zu „Feuerbachs Vorstellungen über die menschliche Erkenntnis“. Feuerbach hält Religion für eine Form menschlichen Bewusstseins, er will deren Struktur und ihre inneren und äußeren Entwicklungsbedingungen und –möglichkeiten aufdecken. Zwangsläufig fußt seine Religionskritik darum wesentlich auf erkenntnistheoretisch materialistischen Prämissen. Feuerbach hielt es für unabdingbar, dass sich Religionskritik wie auch Kritik der spekulativen Philosophie nicht nur auf eine Erklärung der Genesis der Religion und ihrer historischen Entwicklung, sondern zuallererst auf ihre erkenntnistheoretischen Wurzeln richte.
Für Feuerbach wird der Gegenstand wesentlich durch die Sinne, durch die Anschauung gegeben, nicht durch das Denken. Das Denken beurteilt das sinnlich wahrgenommene Material, es analysiert und erklärt dieses. Die sinnliche Anschauung ist Kriterium für die Korrektheit des Denkens, das Denken muss mit den sinnlichen Wahrnehmungen übereinstimmen. Da Feuerbach eine Eigenbewegung des Denkens ablehnt, weil diese für ihn in der Konsequenz lediglich zu einer falschen Reflexion der Wirklichkeit (etwa in religiöser oder spekulativer Form) führen müsse, verstellt er sich die Möglichkeit, die Potenzen der Rückwirkung des Denkens auf die den Sinnen zugängliche Wirklichkeit und auf die Veränderung dieser Wirklichkeit zu erkennen.

Diesen Ansatz problematisiert Schild und geht darüber hinaus auf Feuerbachsche Äußerungen zur Determination der Erkenntnis sowie zur Wahrheitsproblematik ein.
Auch auf persönliche Erlebnisse und Erfahrungen gestützt ist der Beitrag „Feuerbach und die Welt von heute“ von Harry Meißner (Dresden). Meißner berichtet, wie er zu Feuerbach „gekommen“ ist, dass ihn Feuerbach ermuntert habe, eigene böse Erfahrungen optimistisch zu relativieren. Feuerbach wird als repräsentativster philosophischer Vertreter der radikal demokratischen Fraktion des deutschen Bürgertums bezeichnet, der sich deshalb gegen Theologie und Religion wendet, weil diese die ideologische Stütze des politischen Konservatismus in Deutschland darstellten. In diesem Kontext war Feuerbach einer der geistigen Vorbereiter der Revolution von 1848/49. Der Freigeist und Freidenker Feuerbach zieht mit seiner Philosophie Schlussfolgerungen, die auch heute von aktueller Bedeutung sind. Im Beitrag werden Beispiele der Versuche eine Re-Missionierung aufgezeigt. Angesichts der akuten Gefährdungen für die Menschheit sollte uns Feuerbachs Erkenntnis Orientierung sein, dass der Glaube an ein Jenseits der Beseitigung übler Zustände im Diesseits weichen müsse.

Der Diskussionsbeitrag von Hans-Günter Eschke (Jena) würdigt das theoretische Wagnis Feuerbachs, den Philosophen zum Menschen und den Menschen zum Philosophen machen zu wollen. Auch daraus erwächst dessen religionskritischer Ansatz, die Spezifik religiösen Denkens aus dem menschlichen Lebensprozess selbst zu erklären. Anstelle der tradierten Religion bedurfte es einer Philosophie, die sowohl die Würde des Menschen aus dem wirklichen Leben begründete als auch das geistig-weltanschauliche Instrumentarium ausarbeitete, das dem Menschen die Möglichkeit gibt, als selbstbewusstes, nicht von der Gnade höherer Wesen lebendes Subjekt zu agieren. Folglich muss die ideelle Entfremdung der Menschen von ihren eigenen Wesenskräften überwunden werden. Die Kritik Feuerbachs ist darum nicht nur Kritik an Religion und Theologie, sondern am spekulativen Idealismus insgesamt. Feuerbachs Leistung besteht darin, mit seinem anthropologischen Materialismus begonnen zu haben, den Menschen ein neues geistiges Instrumentarium für die Verwirklichung ihres gesellschaftlichen Wertes durch ihre Subjektivität zu schaffen.
Dem Buch ist ein Geleitwort von Eberhard Schinck (München) vorangestellt. Im Anhang findet sich, neben reichhaltigem Bildmaterial, eine tabellarische Biografie und Bibliografie zu Ludwig Feuerbach, zusammengestellt von Georg Biedermann (Jena), eine Zitatensammlung und der Wortlaut der von Carl Scholl am Grabe Ludwig Feuerbachs gehaltenen Trauerrede.


„Ein besseres Leben – nicht glauben, sondern schaffen!“
Ludwig Feuerbach – Vorkämpfer, Denker, Diener der Wahrheit
Offenbach am Main, 2006
165 Seiten; ISBN-10 3-929841-04-5

Das Buch ist zum Preis von 10,00 Euro zu beziehen über:
Eberhard Schinck, Albrecht-Dürer-Str. 23, 85579 Neubiberg,
E-Mail: abo@freidenker.de